Als das weiße Mondlicht den Boden seiner drei mal drei Meter großen Baracke erhellte, die aus halb-verrotteten, am Strand angespülten Planken zusammengezimmert war und die Bänder, die in einem mühsamen Flickwerk die Glasstücke eines improvisierten Fensters zusammen hielten, mysteriöse Schattenmuster auf den Boden warfen, dachte er über sein Leben in Tortage nach. Ein Leben als Mitglied der Roten Hand, erfüllt von Brutalität gegenüber anderen, seinem Leben der Dienerschaft unter einem dunklen und unbarmherzigen Meister; aber ein Ruf von außerhalb riss ihn aus den Gedanken.
"Waldgeist du fauler Hund, komm raus aus deiner stinkenden Hütte, du bist dran mit der Vollmondschicht". Waldgeist hievte sich langsam aus dem Bett hoch und schleppte sich durch seine dunkle Kammer in das helle Mondlicht hinaus, das grell und weiß hoch am Himmel brannte und ihm einen Schauer über den Rücken schickte. "Warum zum Geier müssen wir überhaupt wach sein? Die Hälfte der Wachen ist auf den Beinen... ich hoffe es ist was wichtiges." Die andere Wache betrachtete ihn argwöhnisch "Seit wann interessiert dich denn sowas? Zum Teufel mit den Gründen! Ich bin der roten Hand beigetreten um abgesichert zu sein und plündern und vergewaltigen zu dürfen, für das freie Bier und nicht weil mir irgend ein Bastard erklärt warum ich mir hier die Beine in den Bauch stehen muss."
Waldgeist schüttelte den Kopf "Jaja, das ist mir auch klar aber, ich weiß nicht... die letzte Nachtwache brachte mich zum Nachdenken. Ich meine, hörst du die Leute bei Nacht nicht in ihren Häusern weinen? Es sind so viele gestorben in den letzten Wochen. Irgendetwas geht hier vor sich, ich schwöre es. Irgendwie scheint diese ganze rote-Hand-Geschichte die Stadt zu zerstören. Entweder das oder etwas anderes versteckt sich noch in den Schatten und wir wissen noch nichts dav..." die andere Wache hob die Hand um Waldgeist zum Schweigen zu bringen "... und es hat uns auch nicht zu interessieren!", blaffte er Waldgeist an, "und jetzt halt die Klappe, schnapp dir dein Zeug und lauf los!".
Waldgeist nahm sein zerfetztes Stück Rüstung auf, hergestellt aus grobem Leinen mit einem blutroten Schädel auf der Brust, sowie seine halbzerbrochene Holzkeule. Während er durch die Straßen der vom Vollmond hell erleuchteten Stadt streifte, sah er sich um in dieser, wie es für ihn nun schien, götterverlassenen Stadt voller Piraten, Kriminellen und Leuten die geflohen sind, um in Tortage von vorne zu beginnen; Tortage, wo aller Anfang meist in einem schnellen Ende gipfelt.
Grob mit Stroh überdachte, hölzerne Buden, eng aneinander gebaut, standen neben scheinbar uralten Steingebäuden und in den besseren Teilen der Stadt waren neuere Steingebäude, die mit einem giftigen Gelb bemalt waren, das ein krankhaftes Licht all jenen entgegen warf, die sich der Stadt vom offenen Wasser her näherten.
Ein süßlicher Duft der Verwesung blies ihm ins Gesicht und er musste kurz innehalten um sich nicht zu übergeben. Der Gestank kam aus dem Armenviertel, dem Ort an dem die ganzen Neuankömmlinge üblicherweise ihr Ende finden. Ein Schatten lag über seinen Gedanken... was wenn er eines Tages genau so enden würde wie diese armen Teufel, wenn die rote Hand ihn nicht mehr brauchen würde?
Nur einen Augenblick später kam er bei seinem Ziel an; einer Seitengasse, die er und seine Kollegen für den kleinen, hinterhältigen Zingaraner Quesado sperren sollten, der dort einen Sklavenhändler, ein Muskelberg von einem Mann namens Ulric, traf, einem Grobian der ein Gespür für den Menschenhandel und den Mord hatte. Ein nur all zu üblicher Handelspartner für Waldgeists dunklen Meister Strom.
Während er so dastand in der dunklen Stille der Häuser, in der nur das konstante Gebrabbel der Händler im Hintergrund die Stille störte, sah er eine Bewegung auf den Dächern der nächtlichen Stadt. Einen Schatten, der sich schnell und leise auf seine Position zubewegte. Als er näher hinsah überkam ihn ein schicksalshaftes Gefühl, ein leichter Schauer der Dinge, die da noch kommen sollten. Aber aus irgendeinem Grund sagte er aber kein Wort und sah in eine andere Richtung, tief im Innern wissend, dass dieser Schatten das Ende seines erbärmlichen Lebens bedeuten würde... auf die eine oder andere Weise.
Dieser Schatten in der mondhellen Nacht, war das strahlendste was er in all den Jahren auf dieser Insel zu Gesicht bekommen hatte und ein zufriedenes Gefühl von Gerechtigkeit, das die nahe Zukunft zu überdecken schien, überkam ihn.
Gelassen in der Gasse stehend sprach er leise zu sich selbst "Viel Glück strahlender Schatten der Nacht..." und setzte seine Nachtwache fort…
In den nächsten Tagen überschlugen sich die Ereignisse und er floh auf irgend einem Sklavenkutter von der Insel, als die Stadt in einer nächtlichen Rebellion unterging und Strom den endgültigen Tod fand. Das letzte an das er sich erinnerte waren Ruder, Trommelschläge, Schweiß, Blut und Tränen und eine Dunkelheit, die ihn irgendwann umfing