Dson schleppte sich durch die Wüste. Er war wieder alleine. Den Eifer, der ihn noch am Anfang seines Weges erfüllt hatte, war schon längst verflogen. Die Wüste und die Einsamkeit machte ihn zu schaffen. Sein Kopf fühlte sich schon längst gekocht an. Seine Haut war rot und schälte sich von seinem Körper, wie bei einer Schlange, die sich häutet. Seine Kehle war trocken, das Wasser im Wasserschlauch neigte sich dem Ende. Er bildetet sich immer wieder ein Menschen, Bäume oder ganze Städte in der Wüste zu sehen. Immer wenn er jedoch auf sie zu taumelte verschwanden sie. "Narr." , dachte er immer, wenn er einer von dieser Erscheinung nachgegangen war. Er wusste es doch eigentlich besser. Er wusste was die Wüste mit den Menschen anstellte, die zulange in ihr waren.
Als er noch jünger war, hatte er bei einem Ausritt mit seinem Freund Ashont über die weiten Grasebenen seiner Heimat Kush am Rande der Wüste zu Stygien, einen Mann angetroffen, der sich von Stygien aus durch die Wüste geschleppt hatte. Der Mann hatte nur noch Sinnloses geprabbelt und hatte von riesigen Städten und Türmen erzählt, die er gesehen haben wollen hat. Dson hatte zuerst an dem Mann vorbei reiten wollen, da er vermutlich ein entlaufener Sklave aus Stygien war, und den Ärger, den er verursachen könnte nicht wert war. Zudem war der Mann mehr tot als lebendig gewesen. Sein Freund Ashont hingegen, wollte dem Mann unbedingt helfen. Auf seine Frage, wieso sie ihm helfen sollten, meinte Ashont nur, dass es das "Richtige" wäre. Eine Antwort, die von einem Mann, der in einer vor Yog-Anhängern, die aus dem Gebiet der Dafari westlich der Stadt stammten, überlaufenden Stadt groß geworden ist, sehr seltsam klang. Dson wusste zwar, dass Ashont, wie er selbst, Yog nicht verehrte. Allerdings dachte er immer, dass Ashont wie er selbst keinem Gott folgte. Und das "Richtige" zu tun, konnte man sich in Myrrtariel nicht leisten, ohne selbst Ärger zu bekommen. Nichts desto trotz bestand Ashont darauf dem Mann Wasser zu geben und ihn mitzunehmen. Er starb noch auf dem Ritt zurück in Stadt, wofür Dson damals nicht ganz undankbar war. Dennoch kam ihm jetzt wo er allein in der Wüste war, wieder dieser Mann in den Sinn.
Er wusste sollte er nicht bald aus dieser Wüste entkommen, würde er entweder verrückt werden oder Futter für die Aasfresser. Also schleppte er sich weiter. Schritt für Schritt. Geplagt von Fantasien von grünem Gras und Wasserläufen. Von Festessen und Wein, der über den Glasrand schwappt, beim freudigen Anstoßen der Kelche. Er sah wieder Menschen vor sich durch den Sand tanzen, zu Melodien, die er nicht hörte. Sah sie lachen, essen, trinken. Sie alle erinnerten ihn an sein Zuhause. Sein Leben vor dem Exil. Dann sah er auch ihn. Ashont. Sein Freund. Sein Weggefährte. Sein Prüfstein.
Er stand einfach nur vor ihm, schien rückwärts über den Wüstensand zu schweben. Egal wieviele Schritte Dson auf ihm zukam. Er schien immer gleich weit entfernt zu sein. "Geh weiter.", schien er zu sagen. Dson wusste, dass es nicht Ashont war. Es konnte nicht Ashont sein. Trotzdem gaben ihm die Erinnerung an sein alten Freund Kraft. Dson fing an mit dem Ashont vor ihm zu reden, zuerst leise, als ob er wollte, das ihn niemand hörte, bald jedoch redete er mit Ashont, als ob sein Freund leibhaftig hier wäre.
"Ich vermiss dich, alter Freund. Ich wartete lange auf dich, doch du kamst
nie zurück von deinem Kriegszug. Wieso musstest du auch, sobald du es konntest,
in den Krieg gegen Stygien ziehen?
Jaja, ich weiß, weil sie immer wieder
unsere Grenzen angreifen und Sklaven nehmen und wir den Menschen dort helfen
müssen, das hast du auch damals immer als Grund gesagt. Aber ich kann dir nur
das gleiche sagen wie damals, wir beide sind auch Stygier und das weißt du.
Vielleicht nicht im Geiste, aber unser Blut ist stygisch. Unserer beider Väter
waren stygisch. Alle Mächtigen und Wohlhabenden in Kush sind Stygier. Wir sind
die Nachkommen derer, die von Stygien aus versuchten Kush zu besetzten. Wir
sollten kein Krieg gegen Stygien führen. Wir hatten von ihnen nichts zu
befürchten, nur die armen Leute. Wärst du damals nur bei mir geblieben.
Wir hätten mehr Gutes in dieser verfluchte Stadt zusammen tun können, als du allein auf einem Kriegszug, wenn du es gewollt hättest. Ich hätte dir mit allem geholfen. Auch dein Vater, bei dem ich in die Lehre ging, hätte dir beizeiten sein Vermögen vermacht. Du hättest den Großteil des Handwerkerviertels geerbt. Die Wirtschaft der Stadt hätte dir gehört. Keiner hätte dir widersprechen können. Doch als du weg gingst und nicht wieder kamst, hat es deinen Vater so gegrämt, dass er im selben Jahr daran zu Grunde ging. Und du warst nicht da! Und ohne Erbe ging alles an den Tempel. Die Yog-Priester kamen, leerten euer Haus, nahmen alles mit. Ich versuchte sie daran zu hindern, sie zu überzeugen, dass du noch lebst. Ich wollte, dass du noch lebst, wollte noch ein Teil meiner Familie haben. Wollte nicht wieder alleine sein, wie nach dem Tod meiner Eltern. Aber ich konnte sie nicht aufhalten. Ich blieb alleine in eurem Haus zurück. Durch Zufall fand ich dort den Geheimraum im Studierzimmer deines Vaters. Seit dem weiß ich, wieso du immer allen helfen wolltest. Dein Vater verehrte Mitra und du vermutlich auch. Ich weiß nicht wie ihr zu Mitra fandet, aber es ist mir auch egal. Es ist nur, ich wünschte du hättest es mir gesagt.
Ich blieb solange in eurem Haus, bis die Yog-Priester es verkauft hatten und
mich vertrieben. Danach versuchte ich mein Bestes umso zu sein wie du. Ich
versuchte den Menschen zu helfen, für die Schwachen einzustehen, Mitra zu ehren.
Ich betete zu Mitra, bat ihn mir zu helfen, und dich heimzubringen. Zudem arbeite ich hart in verschiedenen
Handwerksbetrieben. Und dank deines Vaters und seiner Ausbildung wurde ich innerhalb
von zwei Jahren zum besten Baumeister der Stadt. Nun ja, zumindest bis die
Yog-Priester mich hier her brachten.
Jetzt weißt du wenigstens, was mir passiert ist. Ich wünschte du wärst bei mir gewesen, oder zumindest dass ich wüsste was dir zugestoßen ist."
Dson streckt die Hand aus um dem Sand-Ashont die Hand an die Wange zulegen. Als seine Hand die Sandgestalt fast berührt, zerfällt sie vor ihm zu Staub. Dson steht da, mit ausgestreckter Hand, und sieht auf den Sand vor seinen Füßen. Er würde weinen, aber seine Augen sind so trocken, dass keine Träne daraus hervorquellen kann. Er sinkt langsam, auf die Knie und steckt seine Hände in den warmen Sand. Der Sand rieselt von seinen Händen, als er sie aus dem Boden vor sein Gesicht hebt. Er wirft sein Kopf in Nacken und stößt ein schrilles Gelächter aus. Sein Freund war wieder einmal von ihm gegangen.
Erst als er den Kopf wieder nach vorne richtet, sieht er, was vor ihm liegt. Eine riesige Oase. Grüne Bäume, ein riesiger See, Tiere, die das saftige Gras essen. Dson erhebt sich noch einmal. Er torkelt dem See hingegen. An seinem Ufer angelangt, lässt er sich in das Wasser fallen. Das kühle Nass bedeckt seine brennende Haut, kühlt sie. Gierig nimmt er große Schlucke, während er sich treiben lässt. Er war der Wüste entkommen. Er lebte noch.
"Danke, Ashont. Mein Wegweiser."