…das Feuer knisterte und kleine Funken tanzten um den Rauch herum und wurden vom Wind gen Himmel fortgetragen. Die Wärme des Feuers vertrieb die Kälte der Nacht und hielt sie auf Abstand. Wiborg saß mit angezogenen Knien vor dem Feuer und schaute mit weit aufgerissenen Augen auf den großen grauhaarigen Mann, der mit einem Stock in der Glut stocherte. Der Mann nahm einen großen Schluck Met aus dem Horn und wischte sich die Tropfen aus seinem blondgrauen Bart bevor er anfing zu erzählen. Obwohl Wiborg die Worte schon hundertmal gehört hatte, hatten diese nichts von ihrer Faszination verloren. Er versuchte kein Geräusch von zu geben, damit er jedes einzelne Wort aufsaugen konnte.
„Die Legenden unseres Volkes erzählen, dass im vorsintflutliche Zeitalter unsere Ahnen, die Lemurier, auf einer Kette von großen Inseln in der östlichen Hemisphäre lebten“. Der Mann zeigt mit dem Stock gen Osten. Die Spitze des Stockes glühte und ein feiner Rauchschweif ging von ihm aus. „An den fernen östlichen Küsten des Kontinents lebte eine andere Rasse, wohl menschlich, aber rätselhaft und nicht-thurisch“ sagte er den Finger hebend „mit dem unsere Ahnen von Zeit zu Zeit in Berührung kamen. Sie stammte offenbar von einem geheimnisvollen, namenlosen Kontinent weit östlich der lemurischen Inseln.
Dann…“ Funken flogen in alle Richtungen als der Mann ein Stück Holz in das Feuer warf „…erschütterte der Kataklysmus die Welt…“ Seine Stimme klang nun melancholisch „…Vulkanausbrücke, Erdbeben und das Land unsere Ahnen, Lemurien, versank in den Fluten“ beendete er seufzend den Satz. Ein erneuter Schluck Met ölte seine Kehle bevor er weiter erzählte. „Viele Lemurier flohen zur Ostküste des thurischen Kontinents, der verhältnismäßig glimpflich davon kam. Dort …“ seine Stimme wurde nun ganz tief und verabscheuend„…wurden sie allerdings von einer uralten Rasse versklavt“. Wiborg ballte unbewußt seine Faust. Obwohl er genau wusste wie es weiter geht konzentrierte er sich auf die Worte.
„Nach einigen hundert Jahren folgte ein schwächerer Kataklysmus der erneut das Antlitz des ursprünglichen Kontinents veränderte. Er ließ ein großes Binnenmeer zurück, wo die Seenkette sich befunden hatte, was den Westen vom Osten noch weiter trennte. Die Lemurier mussten trotzdem weiterhin ihren Herren dienen. Aber weitere hundert Jahre nach dem schwächeren Kataklysmus…“ in der Stimme klang nun Stolz mit „erhoben sich unsere Ahnen und vernichteten ihre Herren“. Wiborg grinste und nickte zufrieden. „Befreit wandelten sie zwischen den Ruinen der seltsamen uralten Zivilisation“. Wiborg überlegte, ob die acheronischen Ruinen wohl denen der uralten Rasse nachempfunden waren? Er wurde aus seinen Gedanken gerissen als ein weiteres Stück Holz im Feuer landete und wieder die Funken sprühten.
„ Die Lemurier wanderten nach Westen. Der Strom unserer Vorfahren teilte sich auf, der eine Strang zog südwärts und gründete das stygische Reich während der nördliche in den Landen im Norden und Westen das…“ sein Tonfall wurde etwas lauter „…MÄCHTIGE Reich Acheron mit dem purpurtürmigen Python als Hauptstadt gründete“. Der Mann nahm einen weiteren tiefen Schluck aus dem Horn und streifte sich langsam durch den blondgrauen Bart. „Einige hundert Jahre nach der Gründung von Acheron erstreckte sich das Reich über Nemedia, Aquilonia, Argos, den westlichen Koth, Ophir und Korinthien.“ Stolz klang in der Stimme mit. „Schließlich erreichten die ersten hyborischen Wilden die nördlichen Grenzen des acheronischen Reiches und waren von der ÜBERLEGENDEN Macht, ihrer hochentwickelten und komplexen Zivilisation, ihrem stehenden Heer und ihrer dunklen und starken Religion eingeschüchtert. Tausende von Jahren kämpfte Acheron gegen die wilden anstürmenden Barbaren. Vor ungefähr 3000 Jahren schließlich, nach langen und harten Kämpfen, konnten die Nekromanten und Zauberer Aerchons dem barbarischen Druck der Hybori nicht mehr Stand halten. Nun wurde das Reich hauptsächlich durch die Nemedier und einigen Aquiloniern zerstört.“
Der Mann stand auf, ging zu Wiborg hinüber und legte seine Hand auf Wiborg´s Haupt. „Du bist ein Nachkomme Acherons. Du bist ein Nachkomme Lemuriens. Auch wenn du jetzt als Nemedier bezeichnet wirst - vergiß niemals woher Du und deine Vorfahren stammen“ Wiborg nickte still. Der Mann packte Wiborg fest an den Schultern und sein Blick schien sich durch Wiborg zu bohren. „Suche dir ein Weib von deinem Blute! Eine hyrkanische Frau aus Turan oder eine lemurische Nachkommin aus Stygia…“ Der Mann drückte immer fester Wiborg´s Schultern.“Ja“ sagte Wiborg schmerzverzehrt. Der Mann ließ ihn los. „Das Verlangen nach Wissen ist unser acheronisches Erbe“. Er griff sich mit beiden Händen hinter den Kopf an den Hals und nahm einen Anhänger ab. Wiborg starrte den Mann an und sagte „Großvater – nicht…“ Mit einer Handbewegung wies er Wiborg an zu schweigen. Er legte Wiborg den Anhänger um. Er bestand aus einem Stück polierten schwarzem Stein, dessen Form an ein Drachenkopf erinnerte, der an einer silbernen Kette befestigt war. Er fühlte sich warm an. „Dies..“ er zeigte auf den tiefschwarzen Stein „…ist das letzte Stück Lemurien.“ Er lächelte. „So erzählt es die Legende, die mein Vater mir erzählt hat und sein Vater vorher ihm und so weiter.“ Er seufzte tief. „Dein Vater, dieser Dickkopf, ist zu früh zum Militär. Er sollte erst dienen wenn ich in Pension bin, dann hätte ich ihm den Stein geben können“ sagte er lauter werdend. Als er seine Arme weit öffnete konnte man einen scharlachroten Drachen sehen, der auf seiner Brust tättowiert war. „Er hätte ihn beschützt…“. Seine letzten Worte klangen verzweifelt.
Er schüttelte den Kopf. „Gehe nun zu Bett! Morgen machen wir mit dem Schreibunterricht weiter“, der Mann spukte ins Feuer und es gab ein kurzes Zischen „…denn die nemedischen Chroniken erzählen nicht alles“ sage er leise. Wiborg stand auf und ging. Trotz des Schmerzes in seinen Schultern huschte ein Lächeln über seine Lippen. Er war froh, dass morgen sein 6.Geburtstag war und er endlich mit der Schreibausbildung beginnen konnte. Das würde etwas Abwechslung zum Schwertkampf bringen. Der Wind blies durch den schattigen Kiefernwald und in weiter Ferne konnte man den Gelben Fluss plätschern hören. Wiborg hörte in die Dunkelheit, da nicht Opfer eines Wolfes, Bären oder gar eines Ogers werden wollte. Er hatte die Hand auf den Dolchknauf gelegt, der an seinem Gürtel hing. Er gab ihm ein sicheres Gefühl aber trotzdem fröstelte es ihm und er ging einen Schritt schneller. Endlich hatte er das Haus erreicht, welches auf einer alten Steinburg errichtet war.
„Eines Tages werden wir uns aus dem Dunkeln erheben“ flüsterte der Mann in die Dunkelheit der Nacht und leerte mit einem großen Schluck das Horn. Der Feuerschein schien seine Augen glühen zu lassen…