Wie Natulcien ihr Ende fand
Man konnte nicht behaupten, Natulcien hätte ein einfaches Leben gehabt. Doch wer konnte das dieser Tage schon von sich behaupten?
Vielleicht ein Einsiedler fern ab jeglicher Zivilisation und den damit einhergehenden Intrigen? Oder jemand, der in einer priviligierten Familie aufwuchs und von der Realität abgeschottet wird?
Wer mag beurteilen, welche Entbehrungen weniger schlimm und welche Last leichter zu tragen ist?
Im heißen Wüstensand knieend fand sich Natulcien wieder. Die sengende
Sonne brannte erbarmungslos auf sie herab. Jemand hatte sie wortlos von
ihrem Kreuz befreit und ihr geschundener Körper war in die körnige Glut
gesackt. Ihre Augen waren zu müde und ihr ausgemergelter Leib zu
schwach, um irgendeine Anstregung zu unternehmen, mehr über denjenigen
in Erfahrung zu bringen, der ihr geholfen hatte - eine schemenhafte
Gestalt, das blieb die Person für sie.
Alles schien Natulcien so unwirklich. Real und präsent war für sie
nur ihre Vergangenheit. Gedanklich steckte sie noch immer in einem
Moment fest. Eben jenem Moment, der sie hierher gebracht hatte. Sie
hörte das erstickte Gurgeln, schmeckte das metallische Blut und sah das
blasserwerdende Gesicht des Mannes, dessen Kehle sie gerade durchtrennt
hatte, - des Mannes, der für den Tod ihrer kleinen Schwester
verantwortlich war.
Jahrelang hatte Natulcien für den Hehler gearbeitet, die dreckigsten
Jobs übernommen und die riskantesten Unternehmungen für ihn durchgeführt
- alles in der Hoffnung, mit dem klaren Ziel vor Augen ihre Schwester
endlich aus seinem Besitz auszulösen. Jeder Auftrag sollte der letzte
sein, doch er hielt sie immer wieder hin. Er hatte ihre Schwester als
seine Sklavin in der Gewalt und Natulcien damit in seiner Hand, seit der
inzwischen verstorbene Vater der Schwestern, ein Säufer und Spieler,
seine jüngste Tochter beim Würfeln als Spieleinsatz brachte und an den
Hehler verlor. Doch nun war er zu weit gegangen. Er hatte sie an einen
bekannten Schinder verliehen und nun war sie tot. Die letzte Person, die
Natulcien etwas bedeutete war fort. Ihr letzter Halt und Sinn in dieser
Welt war verschwunden.
Verloren und leer fühlte sie sich, während sie das warme Blut des
Hehlers über ihre Arme rinnen spürte - verloren und leer, als sie noch
vor der Leiche sitzend festgenommen wurde. Natulcien widersetze sich
nicht. Wozu auch? Wofür sollte sie noch kämpfen? Für wen? Verloren und
leer hing sie am Kreuz. Sie hatte ihre Bestrafung hingenommen und sah
dem Tod gleichgültig entgegen.
Doch nun, vom Kreuz losgemacht, war Natulcien wieder frei und die
Qual der Wahl, was sie mit ihrem Leben tun sollte, war ihr wieder
aufgebürdet worden. Sie wusste nicht, was sie mit dieser neuen Chance
anfangen sollte. Vielleicht war es ein Zeichen Mitras? Nur um diese
Möglichkeit nicht außer Acht zu lassen und ihren Gott nicht zu erzürnen,
entschied sie sich ihr inneres Hadern und die Fragen in ihrem Kopf zu
vertagen. Um ihren Körper am Leben zu erhalten, musste sie sich um
Grundlegenderes kümmern. Sie sammelte ihre letzten Kräfte, bäumte sich
auf und stand schließlich auf wackeligen Beinen, um Wasser, Nahrung und Schutz zu finden...
Tatsächlich schaffte sie es nach ihrem unrühmlichen Leben in der Stadt, ihrer Verurteilung und Befreiung, in dem neuen Land, das vor ihr lag, Fuß zu fassen.
Eine Weile lang zog sie alleine durch die Gegenden, ernährte sich von Käfern und Eiern, die sie fand, und umhüllte ihren Körper mit einfachen Pflanzenmaterial. Natulcien achtete tunlichst darauf jeglichen Geschöpfen, die ihr in irgendeiner Weise gefährlich werden könnten, - ob Mensch oder Tier - aus dem Weg zu gehen. Sie hatte weder die Kraft noch den Willen zu kämpfen.
So hüllte Natulcien sich in die Schatten, die ihre Bewegungen verbargen, und schlief kurz und unruhig in Felsspalten, die ihr Schutz boten. Sie überlebte. Doch mehr vermochte sie zu diesem Zeitpunkt nicht.
Zwischenzeitlich fand sie eine baufällige Hütte, in der sie Unterschlupf fand. Doch die Gegend war besiedelt und die morschen Bretter würden keinem Überfall standhalten. Das wusste Natulcien und sie machte sich schnell wieder aus dem Staub, von dem es hier mehr als genug gab.
Auf einem Streifzug stand sie eines Tages vor einer riesigen Festung. Es sah fast... ja... nach Zivilisation aus - keine, der wild herumstreifenden, mordenden Horden, die sie hier zur Genüge - glücklicher Weise aus sicherer Entfernung - zu Gesicht bekommen hatte. Doch das musste nichts heißen. Gewalt kommt in vielerlei Form und geschieht unter zahlreichen Deckmänteln. Natulcien war sich dessen bewusst und dennoch....
"Wie schön wäre es, mal wieder in einem Bett zu schlafen - mehr als nur ein paar Minuten in unbequemer Haltung gar verkrümmt auf hartem Stein wegzudösen, nur um dann wieder voller Schrecken hochzufahren und seine Umgebung mit den Augen nach lauernden Gefahren abzusuchen.", dachte sie sich. Mauern können Schutz bieten, wenigstens vor dem was außerhalb liegt. Natulcien beobachtete eine Weile, das Kommen und Gehen, bis sie sich schließlich einen Ruck gab, mit Herzklopfen an die großen Tore der Stadt trat und daran klopfte.
Um die Geschichte an dieser Stelle abzukürzen: Natulcien wurde in die Gemeinschaft der "Hunde Hyborias" aufgenommen. Sie lebte sich gut ein, knüpfte ein paar Kontakte und machte sich so gut es ging nützlich.
Weder Dolch noch Schwert führte sie gegen Menschen, höchstens um die Kreaturen der Wildniss zurückzuschlagen, während sie auf ihren Beschaffungstouren war. Sie sammelte alles Nützliche, schleppte es in die Feste und half diese auszubauen und zu befestigen.
Durch die stetige Arbeit kamen auch ihre Gedanken zur Ruhe. Sie fand einen Ankerpunkt der Sicherheit und Arbeit, die ihrem Leben Sinn gab. Natulcien fand eine Heimat.
Doch ihr Glück wehrte nicht lang. Mehr und mehr Bewohner der Stadt verschwanden - darunter auch die Führung der Gemeinschaft - und es kam, wozu es kommen musste. Es kam zu Ausschreitungen und einer Revolte. Verschiedene Parteien wollte die Leitung mit Gewalt an sich reißen. Natulcien versuchte sich so lange wie möglich bedeckt zu halten, doch irgendwann war das nicht mehr möglich. Sie musste eine Wahl treffen.
Celaine trat an sie heran, um sie vor einer kommenden Gefahr zu warnen und riet Natulcien - ja beschwor sie fast - ihr an einen sicheren Ort aus der Stadt hinaus zu folgen.
Doch Nat verweigerte sich. Es war unvorstellbar für sie ihre neu gefundene Heimat aufzugeben. Noch so einen Verlust würde sie nicht verkraften. Sie konnte nicht noch einmal von vorn beginnen...
Natulcien hielt an den alten Strukturen fest und wollte nicht, dass sich irgendetwas ändert. Sie weigerte sich dem Unvermeidlichen ins Auge zu sehen oder wollte ihm wenigstens so lange wie möglich aus dem Weg gehen. In ihrem Kopf klang es nach edlen Grundsätzen wie Loyalität - andere könnten ihr Handeln als stur oder verbohrt sehen.
Es kam zu einer brutalen Schlacht um die Festung der Hunde Hyborias, in der Reihe um Reihe der Verteidiger fielen. Der Sand färbte sich rot und Leichen säumten den Innenhof der Feste. In ihrer ausweglosen Lage stellten die Hunde auf der letzten Anhöhe so viele Sprengvasen wie ihnen nur möglich auf.
Schließlich standen sich Natulcien und Celaine wieder gegenüber. Nat trat getroffen, blutend und dem Tode nahe in den Torbogen - umgeben von allerlei Entzündlichem. In ihrer Hand hielt sie eine Fackel.
Der Heerführer hob die rechte Pranke und bedeutete den Schützen damit ihre Pfeile NICHT von den Sehnen schnellen zu lassen und das Feuer einzustellen.
Die Cimmerierin, Cel, hielt ihre Hände beschwichtigend in die Höhe.
"Tu jetzt nichts Unüberlegtes. Es ist fast vorbei und du hast es fast überstanden. Leg bitte einfach die Fackel weg und schließ dich uns an."
"Geschafft? Ja, das habe ich bald.", stieß Natulcien keuchend hervor. "Ich werde mich nicht gefangen nehmen lassen! Das hier ist meine Heimat und ich werde sie nicht noch einmal verlieren. Lieber... jage ich hier alles in die Luft. Kommt nicht näher! Ich warne euch!"
"Ich habe dir gesagt, dass du aus der Stadt fliehen sollst. Du wolltest ja nicht auf mich hören. Leg die Fackel weg! Dir geschieht nichts.". Gerade als Celaine diese Worte sprach, ließ einer der nervöseren Söldner die Sehne seines gespannten Bogens los, ein Pfeil jagte durch die Luft und traf Natulcien unpräzise ins Bein.
Nat stolperte und stürzte. Ihr Gesicht war mehr von Schock als von Schmerz gekennzeichnet. Der Griff, der die Fackel umfing, löste sich. Die Fackel rollte auf eine Sprengvase zu...
Natulciens Blick folgte dem Feuer, welches in ihr schon erloschen war. Jetzt sah sie das Unvermeidliche.
Die Explosion, die ihr Leben nahm, zerstörte einen Großteil der Burg und das Feuer fraß sich weiter durch die Stadt wie ein hungriges Tier, das alles verschlang, was sich ihm in den Weg stellte.
Die Stadt war verloren.
Wer mag beurteilen, welches Leben oder welcher Tod sinnvoll ist?
Leben werden gelebt und Geschichten werden geschrieben. Diese ist ein Teil davon.