"Wir haben keine Wahl! Rein da!"
- erklang eine kräftige Stimme und die zahlreichen Figuren betraten
nacheinander den ominösen Tunnel. Sallador warf noch einen letzten
Blick auf die bizzaren Dekorationen aus Schädeln und Knochen, die
vor dem Eingang aufgestellt wurden, und folgte der Menschenmenge. "Es
ist offensichtlich eine Falle" – schoß ihm durch den Kopf,
jedoch verspührte er keine Furcht, sondern eher zunehmende Neugier.
Es bahnt sich eine wundervolle Vorstellung an, nicht umsonst wurden
jegliche Fluchtwege versperrt und die Karawane zu diesem Tunnel
geleitet. Derjenige, der all das geplannt hat, besitzt einen
ausgeprägten Drang zur Theatralik. Zuerst werden alle Akteure an
einem Ort versammelt – der unausweichliche Tunnel. Danach wird die
passende Szenerie gesetzt – deswegen auch der "Schmuck"
in Form von menschlichen Überresten am Eingang.
Kaum war der letzte Reisende in der
Dunkelheit des Durchgangs verschwunden, blitzte es kurz auf und
wilde Flammen umhüllten die beiden Ausgänge. Die Karawane kam zum
Stillstand, die Packtiere wirkten unruhig und ließen sich kaum noch
in Formation halten. Jeder, der eine Waffe mittrug, ziehte diese und
bereitete sich zum Kampf. "Der letzte Strich" – Sal
erblickte den Schauplatz mit Ehrfurcht.
Eine mysteriöse Silhouette trat
langsam hervor. Sofort verspührte jeder der Anwesenden eine beißende
Kälte, die sich bis zu den Knochen durchdringte. Der Protagonist
dieses Schauspiels betrat nun endlich die Bühne. Es wurde zum
Endspiel angesetzt. Tulak Rar, ein Nekromant, der diese Lande mit
seiner Anwesenheit plagt, erschien nun vor der Karawane. Sallador
stand zum ersten Mal dem Magier so nah gegenüber. Was ein Glück,
dass der Hochländer eine Sandsturmmaske in diesem Moment trug –
der Mund weit geöffnet, die Augen starrten verwundert auf die
Schattenfigur vor ihm. Eine Sekunde später zuckten die Mundwinkel
und sein Gesicht wurde von einem breiten Grinsen überzogen. "Ganz
ruhig! Reiß dich zusammen, Sal!" - wiederholte er immer wieder
in seinen Gedanken in der Hoffnung einen Lachanfall zu unterdrücken.
Das ist der gefürchtete Nekromant? Haben sie alle einen Sonnenstich,
oder was?
Die Erscheinung des "Bösewichts"
war an Klischeehaftigkeit nicht zu übertreffen. Eine Knochenkette
hing um seinen Hals. Wurden nicht genau diese Ketten auf dem Markt in
Seebrugge für billig verkauft? Besonders populär war dieses
Schmuckstück doch bei Kindern, die sich zu Spaßkämpfen als
Darfari-Barbaren verkleidet haben... Ist das etwa Kreide in seinem
Gesicht? Hat er sich damit eingerieben um noch blasser und toter zu
wirken?... Aaahh.. Der obligatorische Umhang. Kein Schurke, der
zumindest ein wenig Selbstrespekt besitzt, wird sich ohne einen
Umhang blicken lassen. Wie soll er dann Furcht und Schrecken
verbreiten?
Natürlich kann man die
Nekromantiekenntnisse von Tulak Rar nicht abstreiten. Schließlich
hat Sallador die Untoten selbst auf dieser Reise gesehen. Jedoch kann
von seiner "Mächtigkeit" wohl kaum die Rede sein. Wäre
Sal´s Mentor noch am Leben, würde er einen Scharlatan wie Tulak Rar
nicht einmal seines Blickes würdigen.
Salladors Blick streifte nun über die
Reisende mit dem Ziel die restlichen Hochländer zu finden. Zuerst
entdeckte er Arkaris, die auf der gegenüberliegenden Seite der
Karawane ihre Wache hielt. Die Lippen der dunkelhäutigen Frau waren
fest verschloßen, ihre Hand umschloß den Griff ihres Schwertes. Die
Körperhaltung der "Darfari-Braut" deutete auf eine
unmittelbare Kampfbereitschaft.
Direkt daneben, hinter dem Rücken von
Arkaris, versteckte sich die Köchin und Tavernenwirtin der
Hochländer, Zahida. Armes Mädchen, all das wurde ihr wahrscheinlich
zu viel und ihr Körper zitterte vor Furcht. Kein Wunder, wenn man
bedenkt, dass es ihr erstes Abenteuer ist. Naja, abgesehen von der
ganzen Geschichte mit der Verbannung...
Als letztes fand Sal die Statur von
Sathariel, der sich anscheinend ganz hinten, am äußeren Rand der
Karawane, aufhielt. Der Ganove verhielt sich untypisch ruhig.
Wahrscheinlich war er einfach fasziniert von dem Anblick, er lässt
sich immer von bunt leuchtenden und blinkenden Sachen beeindrucken.
"Na dann schauen wir doch, wie das
ganze Spektakel hier ausgeht" – beschloß Sallador für sich,
lehnte sich an der Wand an und setzte das Beobachten des Geschehen
fort. Sein Amüsement stiegt mit jeder Minute.
"Bla bla.. unterwerft euch mir...
Bla bla.. ich bin ein mächtiger Nekromant!"
"Bla Bla.. niemals.. Bla Bla...
wir werden lieber stehend sterben, als knieend zu leben..."
Die Komödie entfaltete sich wie
erwartet, die Parteien warfen sich mit jedem Kommentar den Ball zu.
Die Klimax der Geschichte müsste demnächst erreicht werden.
Aus den Augenwinkeln bemerkte Sal
unnatürliche Bewegungen in den Reihen der Menschen. Dschamal, einer
der Anführer der Karawane und ein Seebrugger, den er unmittelbar vor
dieser Reise kennengelernt hat, sprach im leisen Ton mit einer Frau,
die Sallador erst am Wolfsfelsen zu der Karawane dazustoßen sah.
Ihre Bekleidung ließ bloß ihr Antlitz erkennen, welches jedoch edle
Gesichtszüge besaß und eine harmonische Schönheit ausstrahlte. Wie
war nochmal ihr Name?... Wüstenblume? Irgendwas bahnte sich an, man
erkannte die Unruhe in den Blicken der Beiden. Nach einem kurzen
Wortwechsel begab sich Dschamal eilig zum hinteren Ende der Karawane,
ohne jedoch große Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Die Frau wühlte
währendessen in ihren Reisetaschen und holte schließlich etliche
Gegenstände, die sie vor sich auf dem Boden ausbreitete.
Sallador´s Amüsement verschwand
genauso schnell, wie es aufgetreten ist. Er wusste ganz genau was das
für Gegenstände waren und wofür sie benutzt werden. Set. Die
Schlange hatte also auch hier ihre Finger im Spiel. Dschamal kehrte
zurück, vor der Setpriesterin erschien ein lebloser Körper. Wohl
einer der Sklaven, der die Karawane begleitet hat. Armer Kerl. Nicht,
dass Sallador um ihn getrauert hätte, aber ein Tod, der umsonst ist,
ist eine Verschwendung. Er wandte seinen Blick ab, einen Limit an
Menschenopferungen hat er schon in seinem Leben errreicht. Noch mehr
zu sehen wäre wie bei einer Sättigung noch mehr Essen in sich
reinzustopfen – noch ein Stück und man hält es nicht aus, man
muss sich übergeben. Die Priesterin fing an euphorisch ihr Gebet an
Set zu sprechen. Sal kannte die Strophen nur zu gut und seine Lippen
bewegten sich synchron zu denen von der Priesterin, ohne dass er es
bewusst tat.
Wenige Momente später war es vorbei,
das Ritual war vorüber. Ein Pfeil schoß durch die abgestandene Luft
und traf den Nekromanten. Dieser zuckte zusammen, es erklang ein
lautes Jammern und der Magier zog sich zurück, einen Schutz der
Dunkelheit suchend.
"Er ist verwundbar?" - die
Schreie der Reisenden prallten an den Wänden des Tunnels ab und
erzeugten einen Halleffekt. Wie bitte? Haben diese Idioten geglaubt
er sei unverwundbar? Tulak Rar ist ein Magier, ein Nekromant, wohl
kaum ein Gott. Sal würde nur zu gerne die Tatsachen für diese
Banausen klarstellen, doch er wusste, sie würden ihn nicht
verstehen, nicht akzeptieren. Das würde sein Vorhaben in diesen
Landen unnötig erschweren.
Lange konnte Sallador in seinen
spöttischen Gedanken nicht verweilen. Ein lautes Krachen brachte
alle Anwesenden auf den Boden der Tatsachen – Tulak Rar wurde zwar
vertrieben, aber sie waren immernoch im Tunnel eingesperrt, die
Flammenwände machten kein Anzeichen zu verschwinden.
"Die Decke stürtzt ein! Wir
werden hier begraben!"
"Na das ist recht ungünstig...
Hat der alte Tulak etwa Sprengladungen vor unserem Antreffen
angebracht?" - rasten die Gedanken. Sein Blick streute hecktisch
über die Wände des Tunnels und über die Feuersäulen, in der
Hoffnung einen Ausweg aus dieser Situation zu finden. Vergebens. Es
schien so, als ob dieses Spektakel doch noch zu einer Tragödie
werden würde.
"Mitra, Mitra!" - hörte er
plötzlich die Stimmen um ihn herum flüstern. Sal blickte auf und
traute seinen Augen nicht – eine Silhouette, die über dem Boden
schwebend die Feuerwände mit Leichtigkeit durchschritten hat. Eine
sanfte Lichtaura ging von dieser Erscheinung aus. In den Reihen der
Karawane funkte es kurz auf. Dson, ein weiterer Anführer dieser
Reise neben Dschamal, durchtrennte die Feuerbarrikade mit einem
Schwert, welches das gleiche Licht ausstrahlte, wie die mysteriöse
Figur von eben.
Ha! Was macht denn nun Mitra hier? Eine
weitere Gottheit, die ein zu eifriges Interesse an einer
Nekromantenparodie zeigt. Oder gibt es irgendwas Besonderes an der
Karawane selbst? Und warum sollte Mitra die Set-Anhänger retten?
Irgendwas stimmt hier nicht.. Egal. Jetzt schnell. Hauptsache raus
hier.
Die meisten haben es aus dem Tunnel
rausgeschafft. In den müden Gesichtern konnte man jegliche Emotionen
ablesen – Furcht, Ehrfurcht, Entsetzen und bloße Verwunderung.
Keiner konnte glauben, was gerade geschah. So viele Fragen standen in
dem Raum.
Dson erzählte irgendwas von einem
Mitra-Berg, einer Zuflucht. Vielleicht wird man dort irgendwas
klarstellen können. Vielleicht kommt Sallador dort seinem Ziel
näher.