Isphani und die Nächte

  • Die Nacht war gerade hereingebrochen, Isphani hatte sich in der kleinen Hütte am Wasser schon hingelegt und der Lotusrauch hing noch schwer im Raum, als ein Geräusch wie von brechenden Knochen ertönte, ganz in der Nähe. Draußen, an der kleinen Hütte von Menian, der schon längere Zeit verschwunden war.

    Sie war sich nur allzu deutlich bewusst, dass sie auf sich gestellt war. Einmal mehr verfluchte sie den Lotusrausch, der ihre Sinne erneut benebelt hielt, aber das Herz schlug ihr bis zum Halse und der Schweißausbruch war die Folge ihrer Angst.


    Sie hielt den Atem an und lauschte. Da war es wieder, diesmal ein Stück weiter entfernt. Die Nackenhaare stellten sich auf und sie hätte sich gewünscht, den Mann namens Vayim, den ihr Dschamal genannt hatte, bei den Häusern in der Nähe am Tage zuvor gefunden zu haben. Aber dort war keine Menschenseele gewesen. Irgendetwas ging vor sich, das spürte sie.


    Dschamals Augen, als sie ihn vor einigen Tagen kennengelernt hatte, kamen ihr in den Sinn. Etwas in seinem Blick machte ihr mächtig Angst, denn ihre Menschenkenntnis war begrenzt. Dschamal wollte diesen Wiborg töten. Offenbar wollte in diesem Land jeder jeden töten.
    Sie schalt sich einen Dummkopf - wieso hatte sie sich nicht mehr darum gekümmert, wie es in der Welt außerhalb ihrer "Familie" zuging? Anstatt tagein, tagaus über Büchern zu hocken oder Schreibübungen zu machen, hätte sie über die eigene heile Welt hinausblicken sollen.

    Doch jetzt war es für diese Einsicht zu spät und das Land hier war weder sicher noch waren da Menschen, die ihr sagen konnten, was sie zu tun und zu lassen hatte.


    Da war es schon wieder, dieses unangenehme Geräusch und es riss sie aus ihrem Selbstmitleid. Dann entfernte es sich langsam. Offenbar hatte eine stinkende Hyäne die Tonne mit den Abfällen gewittert, sich jedoch entschlossen, weiterzuziehen. Gut für Isphani.


    Sie wischte sich den Schweiß ab und dachte an Dschamal, den sie vor Tagen so unbeschreiblich naiv und tölpelhaft in ihre Hütte gebeten hatte. Doch sie hatte Glück gehabt - er würde sie in der Kampfeskunst unterweisen. Hoffentlich war er nicht auch verschwunden. Offenbar verschwand hier jeder, mit dem sie zu tun gehabt hatte.

    Erst Arrak, dann Menian und auch dieser Wiborg, dessen riesenhaften Bau auf einer alten Ruine sie jeden Tag sehen konnte, wenn sie in der Oase weilte. Wiborg! Himmel, seine Bibliothek war die Erfüllung ihrer Träume gewesen ... nichts wäre ihr lieber gewesen, als sich dort aufzuhalten ... das war vor einigen Wochen.

    Dort sollte sie Schreiberin werden. Doch die grausame Wirklichkeit schien sich langsam aber sicher in ihr Bewusstsein zu schleichen, sie musste selbst entscheiden, was sie tun wollte, sie musste kämmpfen lernen, ihre heile Welt war endgültig zerbrochen und würde niemals wiederkehren. Dazu gehörte auch das Lotusrauchen ... doch wie entkam sie bloß der Sucht?
    Und wieder drehten sich ihre Gedanken nur um sich selbst.

    Sie spürte, dass etwas kommen würde. Etwas Großes und etwas Böses. Oder war es schon hier?


    Der Biss eines Skorpions vor zehn Tagen war beileibe nicht so schmerzhaft gewesen wie das Gefühl der Einsamkeit, welches sich unter dem Lotusrausch in ihre Seele gefressen hatte.

  • Dschamal war mitten in der Nacht an ihrer Hütte gewesen und sie erschrak fürchterlich, als sie hinaustrat und direkt vor ihm stand. Nichts hatte sie gehört, kein Rascheln, kein Knacken, gar nichts. Ihr Herz klopfte wild, aber es beruhigte sich langsam, denn er hatte keineswegs vor, sie zu töten. Sie schalt sich einen Dummkopf und bat ihn in ihre Hütte.


    Im Morgengrauen begaben sie sich auf die Jagd. Dschamal hatte ihr einen Bogen geschenkt und eine Menge guter Pfeile, weit besser als die, die sie sich zusammengeschustert hatte, vor lauter Freude brachte sie nur ein "Vielen Dank, das kann ich doch nicht annehmen" heraus, bestenfalls hatte sie sich noch verbeugt, ihre Augen leuchteten, aber ihre Kehle war zugeschnürt.
    Die beiden wanderten zuerst zum Schiff, auf dem Vayim wohnte, dann erklommen sie ein paar Hügel und erlegten die eine oder andere Hyäne, einen Strauß oder sogar ein Krokodil.


    Nach vielen weiteren Stunden hatten sie ein Plateau erreicht und es wurde dunkel, zudem hatte sie eine Halswunde von einem Streifschuss eines Pfeiles, Dschamal hatte sich darum schon gekümmert und die beiden schlugen ein kleines Lager auf, brieten ein wenig Fleisch und blieben die Nacht über hier auf diesem Plateau. Isphani fror, an Schlaf war nicht zu denken.


    Am nächsten Morgen brachen sie auf und kamen abends an ihrer Hütte an und Dschamal blieb nun bis zum Morgen.
    Sie war soo müde gewesen und unendlich dankbar für seine Nähe und die Geborgenheit, die er ihr gab.


    Zum ersten Mal weckten sie die Träume nicht auf, sie schlief zwar diese Nacht nicht traumlos, aber dennoch ruhig. Abgesehen von dem Gefühl, ihm noch näher sein zu wollen, was sie ihm nicht zeigte, erfüllte sie nur die Müdigkeit, ab und zu der Gedanke an den Lotus und eine undefinierbare Verwirrung.

    Da war etwas geschehen mit ihr. Abgesehen von dem Verlangen, Lotus zu rauchen, was sie an diesem Morgen gar nicht mehr so sehr trieb, war sie sich einiger Dinge über sich selbst bewusst geworden.


    Etwas begann schon, ihr Leben auf den Kopf zu stellen. Was war es bloß?

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