Ein Herz aus Gold

  • Eine beklemmende Hitze machte es ihr von Sekunde zu Sekunde schwerer ihren nackten Leib auf trägen Beinen durch die Wüste zu tragen. Unbarmherzig und ohne Gnade trafen die konstanten Strahlen der emporstehenden Sonne ihren Schädel. Wie lange sie schon unterwegs war? Das konnte sie beim besten Willen nicht mehr genau sagen. Vielleicht eine Stunde? Möglich wären jedoch auch Zwei. Hier ähnelte jeder Stein dem anderen. Jeder Hügel aus Sand dem nächsten und selbst die charakteristischen Spuren im Sand, die der spärlich aufkommende Wind hinterlassen hatte, wollten sich nicht von einander unterscheiden. Die Wimpern klebten, die Knöchel schmerzten und der Mund schmeckte trockener als die unfruchtbare Wüste, in der man sie zum Sterben ausgesetzt hatte. Sie würde hier sterben. Sie dachte nie daran einsam zu sterben, niemanden an ihrer Seite zu wissen, keinen bei sich zu haben, der ihre Hand bis zum Schluss fest hielt. Der Gedanke schaffte ein klemmendes Gefühl in ihrer Brust, raubte ihr sichtlich den Atem und schaffte es schlussendlich dass die Frau ins Stehen kam.


    „Du wirst eines Tages eine große Kriegerin! Jemand, der unseren Clan mit Stolz erfüllt und die nächste Generation prägt.“


    Sasha lauschte einer plötzlich auftauchenden Stimme und drehte sich augenblicklich in eine Richtung um. Doch niemand war zu sehen. Als sie realisierte, dass ihr Verstand ihr soeben versuchte einen Streich zu spielen, sind ihre Augen vor Schock geweitet. Nichts an den gehörten Worten war wahr. Sie war nie eine große Kriegerin. Sie schaffte es gerade so alleine eine Keule zu schwingen, ohne größeren Schaden anzurichten. Sie sah sich selbst nicht für etwas Großes bestimmt. Lieber verweilte sie im Hintergrund, sammelte und stärkte auf diese Weise das Überleben ihres Clans. Das war ihr Weg, das war ihre Bestimmung. Und nun stand sie als Verbannte in dieser Wüste und sah ihrem eigenen Tod entgegen. Sie wollte es nicht so enden lassen, konnte es nicht so enden lassen. Sie klammerte sich an einen geringen Funken Lebenswillen und begann erneut einen Schritt vor den nächsten zu setzen. Eine unerwartete Härte breitete sich auf ihrem Gesicht aus während sie trostlos umher wanderte. Die Blasen an den Fußsohlen spürte sie kaum noch. Auch ihr Hungergefühl und der ungestillte Durst, welche sie so lange begleiteten, verstummten. Sie existierte nicht länger als Mensch mit Bedürfnissen. Sie schottete sich ab, um den harten Gegebenheiten die Stirn zu bieten.


    Kämpfe


    Schwach tasteten ihre Finger über kühles Gestein. Ihre Hände zitterten während sie hinter einem hohen Felsen Schutz suchte um sich zu sammeln. Die Sonne erreichte sie an diesem Ort nicht, konnte keinen Einfluss auf sie nehmen und dieser Tatsache war Sasha im Augenblick unglaublich dankbar. Sie überlegte hier zu bleiben. Sie war offensichtlich nicht die einzige mit dieser Überlegung. Ein lebloser Körper, teils verwest, saß neben ihr an den Stein gelehnt am Boden. Der vorherige Gedanken wurde mit einem erschöpft aber wütenden Schnaufen zur Seite geschoben. Sie war so ausgelaugt dass die Anwesenheit des Toten ihr kaum eine Zuckung in der Mimik abringen konnte. Behutsam kniete sie sich hin und vergriff sich an dem Toten. Sie zog ihm die Lumpen von den Beinen und suchte nach möglichen Waffen oder gar einem Trinkschlauch. Ihre Suche blieb erfolglos. Einzig und allein die Lumpen fanden Verwendung an ihren Beinen um ihren Unterleib Schutz zu bieten. Träge rückte sie wieder hinter dem Felsen hervor, lächelte der Sonne halbherzig zu und setzte ihre aussichtslose Reise fort.


    Atme


    Die geschwächten Knie gaben unter ihrem Gewicht nach und so knallte sie hart auf dem Boden auf. Mit ausgestreckten Armen schaffte sie es ihre Handflächen dazu zu nützen, wenigstens ihren Oberkörper oben zu halten, um nicht mit dem kompletten Körper auf dem Boden aufzukommen. Ungebremst rutschte sie ein Stück nach vorne, ihre Finger vergruben sich dabei im Matsch und als sie das nächste Mal ihre Augen öffnete, stockte ihr der Atem vor Erstaunen. Die Hitze, die so lange auf ihrer Haut klebte, rückte mit einem Schlag in weite Ferne.


    „Wasser?“ ihre Stimme erklang so hauchdünn und schwach. Sie traute ihren eigenen Augen nicht. Das konnte nicht sein. Woher? Warum? Eine ungeheure Gier überkam sie und kurz darauf formten sich ihre geschwächten Hände zu einer Schale, mit der sie das Wasser schöpfte und bis hoch zu ihrem Mund hielt. Ein lautes Schlürfen folgte. Immer mehr Wasser floss ihre Kehle hinab und verschaffte dem müden Körper neue Kraft. Sie konnte es nicht glauben. Das musste ein Traum sein. Das es kein Traum war wurde ihr spätestens bewusst als sie ihren Kopf ein Stück hob und dadurch einen klaren Blick auf ihre Umgebung werfen konnte. Eine blühende Oase erstreckte sich vor ihr. Grün traf auf Blau, Lebewesen auf Botanik und selbst die Luft schmeckte nach Leben. Halbtot und vom Leben gezeichnet wirkte ihre Anwesenheit wie ein Störfaktor auf die blühende Umgebung ein.

    „Ich muss mich beeilen…ich muss…“ ihr Flüstern erstickte in Stille. Eine greifbare Ratlosigkeit schimmerte in ihrem Blick auf welcher schlussendlich ihre Hände traf. Die Blasen waren noch gut zu sehen. Sie musste sich sammeln. Sie musste einen Ort finden um sich auszurasten. Sie benötigte schleunigst eine Waffe um sich gegen kommende Gefahr zu schützen. Sonst wäre alles umsonst gewesen. Ihr ganzer Kampf wäre umsonst gewesen.


    Überlebe


    Mit dem linken Handrücken streifte sie sich die letzten Tropfen Wasser an den Lippen fort. Sasha wollte sich soeben erheben als die Bewegung in ihrer Erstehung starb. Sie zog den Kopf ein und richtete den Blick ans andere Ufer des Flusses nachdem sie dort eine Bewegung ausmachen konnte. Jemand war dort. Ihre Augen engten sich minimal um besser sehen zu können. Die stattliche Distanz machte es ihr jedoch schwer. So prasselten die Details nur angedeutet auf sie ein. Sie sah einen Mann von durchschnittlicher Größe und braunen, schulterlangem Haar. Seine drahtige Gestalt konnte sie vermerken, jedoch nicht sein Gesicht. Sie konnte nicht ausmachen ob sein Gesichtsausdruck freundlich gesinnt war oder doch auf einer feindlichen Basis ruhte. Seine Lederrüstung machte wenig Eindruck, dafür das sichtbare Schwert an seiner Seite, umso mehr. Oh wie sehr beneidete sie ihn jetzt dafür. Sie wollte all das was der Fremde auf der anderen Uferseite bereits besaß. Eine Waffe, eine Rüstung und einen Trinkschlauch. Noch während sie sich aus ihrer knienden Position nach oben drückte um zu stehen, wurde der Fremdling mit haltender Faszination beobachtet. Sie dachte nicht mehr an die nahe Umgebung sondern blendete diese komplett aus. Sie war jung, töricht und unvorsichtig. Und dafür wurde sie jetzt vom Schicksal gnadenlos bestraft.


    „Halt! Bleib wo du bist!“ eine Stimme wurde links vor ihr laut. Sasha lenkte ihren Blick zügig in die Richtung aus der die unbekannte Stimme kam. Sie wollte sich lediglich davon vergewissern dass niemand dort stand, sondern es ihr Verstand war, der ihr erneut versuchte den Boden unter den Füßen fort zu ziehen. Genau wie einige Stunden zuvor in der Wüste. Nur dieses Mal lag sie falsch.

  • Dort wo sie das Nichts vermutete, baute sich plötzlich eine vermummte Gestalt auf und stand dabei bedrohlich nah an ihrem Körper. Ein überwältigendes Gefühl von Angst kroch dabei in ihre Gliedmaße, je länger sie dem Fremden entgegen sah. Nur durch kritisch angeforderte Körperkontrolle war es ihr möglich, den Blick nicht abzuwenden. Es würde sie schwach wirken lassen. Und nichts wäre einem Jäger lieber als eine schwache Beute, die sich nicht zu wehren wusste.


    „Wie ist dein Name?“  wieder erhob er seine Stimme und sprach sie direkt an. Er forderte von ihr eine Antwort, doch sie gab ihm keine. Es blieb ihr nämlich nicht genügend Zeit, denn keinen Herzschlag später, nachdem der Vermummte seine Frage gestellt hatte, gesellte sich noch jemand hinzu. Dieser jemand hielt eine Waffe in seiner rechten Hand. Ein Dreizack. Dessen Spitze nun auf Sasha gerichtet wurde. Somit sprach auch er eine offene Drohung gegen sie aus. Sie gehörten zusammen, waren ein Clan und auf der Jagd. Auf der Jagd nach was? Nach Fleisch? Könnte es sein dass sie nun ihrer gerechten Strafe beiwohnen wird? Würde man sie aufschlitzen, am nächsten Baum ausbluten lassen und danach auf einem Feuer kochen? Bei dem Gedanken floss ihr ein eiskalter Schauer den Rücken hinab. Sie hatte zwar von derartig widerlichen Kreaturen gehört, aber noch nie einen Kontakt zu ihnen gehabt. Zu ihrem Glück.


    „Ich habe nichts bei mir. Kein Essen, auch nichts zu trinken und keine Waffen.“ sprach sie nur einen der Fremden direkt an. Sie hatte ihr Augenmerk auf den Fremdling gerichtet welcher sie zu Beginn aufforderte stehen zu bleiben. So viele Blicke auf sich zu wissen bereitete ihr Unbehagen. Sie könnte fliehen. Vielleicht müsste sie nur den richtigen Moment abwarten. Der Gedanken musste frei leserlich auf ihrem Gesicht aufliegen, denn keine Sekunde später hörte sie den letzten Fremdling, den sie bis jetzt nicht wahrnahm, zynisch sprechen „Denk nicht dran. Auch wenn du aussiehst als hättest du Feuer unterm Hintern. Eine Flucht ist aussichtslos.“


    Überrascht über seine Worte widmete Sasha ihm einen verstohlenen Seitenblick. Erst da bemerkte sie das Seil, welches er locker in einer Hand hielt und in unregelmäßigen Abständen stramm zog als würde er etwas nicht erwarten können. Sein Anblick und das was er ihr damit übermittelte, löste bei ihr einen Brechreiz aus. Sie fühlte sich wie ein Tier. Sie machte, benommen von ihren Emotionen, einen unbeholfenen Schritt zur Seite. Sie wollte fort von dem Vermummten mit dem Seil. Weit kam sie jedoch nicht, denn auf der anderen Seite wartete bereits der Fremde mit dem Dreizack auf sie, um sie an jeglicher Flucht zu hindern. Egal wie sie sich drehte und wand, ihre Flucht schien wirklich aussichtslos zu sein. Sie waren einfach in der Überzahl. Außerdem besaßen sie mehr Waffen als sie und konnten dadurch höheren Schaden anrichten. Was könnte sie schon ausrichten mit ihren bloßen Händen?


    Du wirst eines Tages eine große Kriegerin!


    Diese räudige Lügnerin. Allmählich begann sie die vertraute Stimme in ihrem Kopf zu hassen. Wieder pendelte ihr Blick sich auf denjenigen mit dem Dreizack in den Händen ein. Sie konnte sein Gesicht nicht erkennen aber doch wirkte seine Körperhaltung vertraut auf sie. Sein Gesicht war mehr Schemen als detailreiches Gelände von Mund, Nase und Augen. Sie konnte nicht wissen mit wem sie es zu tun hat. Warum fühlte es sich dann so an als wüsste sie es?


    Der Dreizack. Der Dreizack? Der Dreizack…


    Angestrengt schnappte sie hörbar scharf nach Luft. Sie schreckte hoch aus ihrem Traum. Während sie auf dem Bett saß rieb sie sich mit einer träge ausgeführten Handbewegung den Schlaf aus den Augenwinkeln.Wie lange war es her seit sie das letzte Mal in einem Bett eingeschlafen hatte? Es kam ihr vor wie eine Ewigkeit. Ihr Schlafplatz in der Festung im Süden bildete lediglich eine Matte auf kaltem Gestein. Diese Matte hatte ihr mehr als nur eine Nacht den Schlaf geraubt. Sie hasste sie und beneidete selbst die Verwundeten im Lazarett, die sie täglich versorgte und versuchte wieder gesund zu pflegen, für ihre bereitgestellten Betten. Ein durch und durch grotesker Gedanke.


    Kriechend schlich sich eine Müdigkeit in ihre Knochen. Sie versuchte gegen die nahe Bedrohung anzukämpfen. Gerade als sie die Hand von ihrem Gesicht zurück zog, stach ihr jemand ins Auge. Die unerwarteten Erinnerungen an kürzlich vergangene Taten standen in direkter Verbindung mit ihm. Neben ihr schlief ein Mann, so selig-ruhig als wäre es das Natürlichste der Welt Seite an Seite zu liegen.


    „Der Mann mit dem Dreizack.“ flüsterte sie in Gleichgültigkeit getränkt aus. Endlich erkannte sie sein Gesicht. Sie konnte den charakteristischen Nasenrücken erblicken, die schmalen Lippen, welche von der Wüstenluft ganz trocken sind und auch die markanten Kieferknochen blieben ihrer Musterung nicht verborgen. Sie war nicht schlau aus ihm geworden. Sie hatte mehr als nur ein paar Stunden an seiner Seite verbracht und je länger sie seinen Worten lauschte, um so weniger verstand sie, was er bei Menschen wie Pueros zu suchen hatte. Er formte seine Worte anders. Er gestikulierte anders. Er kämpfte anders. Er bewegte sich anders. Alles an ihm passte nicht zu dem was sie kannte. Sie wuchs auf unter der Faust eines kriegssüchtigen Clanführers, der es sich nie nehmen ließ, auch nur ein einziges kriegerisches Szenario zu verpassen. Ganz gleich wie viele Leben es kostete. Ganz gleich wie viele Mütter an diesem Tag ihre Söhne verlieren würden. Ihm bedeutete das Leben nichts. Er wollte das Blut seiner Feinde auf seiner Zungenspitze schmecken, die verzweifelten Schreie von ihnen vernehmen und sich im Ruhm des Erfolges sonnen.


    Egal wie sie es drehte, das Ergebnis blieb immer gleich. Sie begann das andere Geschlecht ihrer Rasse zu hinterfragen. Und das nur weil ein einziger Mann sie dazu motiviert hatte und das ohne es selbst zu wissen. Es war zum verrückt werden. Wieder stößt sie angestrengt Luft aus. Ihr Blick hatte sich kein einziges Mal von dem schlafenden Körper abgewandt. Sie genoss es ihn anzusehen. Ein mulmiges Gefühl breitete sich dabei in ihrer Magengrube aus. Sie hatte das Bild eines Mannes vor sich, der die Frage nach dem Sinn des Lebens roher Gewalt und ausschweifenden Exzessen vorzog. Und genau das ließ sie an ihrem Lebensbild zweifeln. Warum war er anders? Was machte ihn anders? Es war zum Zähne ausbeißen. Am liebsten würde sie ihm jetzt, schlafend wie er war, mit geballter Faust ins Gesicht schlagen. Nur um sich dadurch besser zu fühlen.


    Sie seufzte überfordert und ließ sich langsam zurück auf die Matratze sinken. Lange blieb sie wach und musterte die unbekannte Zimmerdecke als könnte diese ihr die erhoffte Erleuchtung bringen. Einen Herzschlag später rutschte sie bereits wieder unruhig umher. Irgendwann befand sie sich in Seitenlage und wie es der Zufall wollte war ihr Gesicht dem schlafenden Mann zugewandt. Ihr blieb wirklich nichts erspart. Eine Hand schob sie sich unter den Kopf und missbrauchte sie als Kissen für die Nacht. Die Augen kniff sie fest zusammen in der Hoffnung endlich einen erlösenden Schlaf zu ergattern. Doch dieser würde noch etliche Minuten auf sich warten lassen. Es kam ihr vor wie eine Ewigkeit in der sie einfach nur still da lag, die Luft in die Lungen zog und sanft wieder nach oben stieß.


    Sie musste nur atmen.

  • „Das ist Sasha. Sie kümmert sich um das Lazarett, stellt Mixturen und Salben her und betreut unsere Verwundeten und Kranken. Sie ist nützlich und wissbegierig. Beides Eigenschaften die ich sehr an ihr schätze.“


    „Oh … ihr arbeitet im Lazarett? Von einer Sklavin empor zu einem Mitglied dieser Stadt. Das ist ein beachtlicher Aufstieg, Sasha. Nun sagt mir,... mit wem teilt ihr nachts euer Bett?“


    Manche Stimmen verstummten nie. Sie versuchten sie zu locken, zum handeln zu bewegen um diese unbändige Gier tief in ihrem Inneren, zu stillen. Sasha stellte sich vor wie das Blut in ihren Adern zu stocken begann, ihre Lunge ihre Funktion verweigerte und ihr Herzschlag immer schwächer gegen ihre Brust pochte. Und irgendwann wäre ihr Körper nur noch eine leere Hülle ohne einen Funken Leben in ihr. Sie würde den Anblick genießen, ihn in sich aufsaugen und dadurch Befriedigung erlangen. Oh ja, das würde sie. Je länger ihr Blick an der Frau anhaftete, umso stärker überlegte sie, wie sie es schaffen konnte ihrem Dasein ein schnelles Ende zu setzen. Sie erinnerte sich, während ihre Hände an einem unsauber verarbeiteten Holzbecher anhafteten, an längst Verlorenes zurück. An ihre Vergangenheit, an ihre zahllosen Schandtaten und ihr zu erwartendes Ende am Kreuz. Ihre Gedanken entsprangen aus einem verdorbenen Samen, diesem ist sie sich durchaus bewusst, aber doch brachte sie momentan nichts von ihrem brutalen Gedankenspiel ab.


    Seit ihrem ersten Tag in der Festung der Verbannten verbrachte sie mehr Zeit mit Schweigen als mit Reden. Sie versuchte sich unauffällig zu verhalten, Befehlen Folge zu leisten um nie mit einer aussichtslosen Situation konfrontiert zu sein. An ihrem Tisch saßen noch zwei weitere Personen und doch schaffte es niemand von ihnen ihr Interesse so rasant auf sich zu lenken wie es dieser Frau gelang. Sie bezeichnete sich selbst als Blume, doch nichts an ihr erinnerte Sasha an eine Blume. Vor ihren Augen sah sie nur ein kränkliches Blümchen welches es galt aus dem Boden zu zerren, um es danach einfach liegen zu lassen und ihr jegliche Aussicht auf Wasser zu verweigern. Doch die Tatsache, dass sie eine Set-Priesterin war, lag Sasha schwer im Magen. Sie hörte viele Geschichten über derartige Gestalten und ihre Liebe zu Schlangen. Ob sie wohl resistent war gegen Schlangengift? Würde sie Sasha verurteilen wenn sie wüsste dass durch ihre geschickten Hände nicht nur eine Schlange ihr Leben ließ sondern gleich dutzende? Sasha dachte nie darüber nach wenn sie die Tiere mit einem Stein erschlug ob dessen Gott sie nun auf ewig jagen würde. Sie dachte nie über derartig Sinnloses nach und ließ nicht zu das ihr wacher Geist von einer religiösen Saat verdorben wird. Sie wollte die Fangzähne, die Drüsen am Hinterkopf, wo die Kreaturen ihr Gift lagerten, und um an all dies zu kommen blieb ihr keine andere Wahl als sie zu töten.


    Ein hitziger Wortwechsel entstand und plötzlich wurden unerwartete Beschuldigungen laut. „Ihr wisst genau wie mein Plan aussieht.“ rechtfertigte sich die Frau gegenüber der beiden Männer „Der Tempel wird erbaut und Tulak Rar somit zufrieden gestellt. Ich sehe keinen Sinn darin in die verbotene Stadt einzumarschieren um dort nach Informationen zu suchen, die wir vermutlich gar nicht finden werden. Nicht zu vergessen all das Leben was wir dort verschwenden. Und wofür? Für mögliche Informationen wo wir keinerlei Sicherheit besitzen dass sie wirklich existieren.“ Deutliche Abneigung sprach aus ihr. Sie hieß das Gehörte nicht gut. „Wie stellt ihr euch das vor? Die Stadt ist unsere einzig greifbare Möglichkeit etwas über ihn in Erfahrung zu bringen. Jeder Krieg bringt Opfer mit sich, meine Soldaten wissen das. Wollt ihr lieber untätig rumsitzen? Ich vertraue nicht auf einen Tempel welcher noch nicht einmal fertig erbaut wurde.“ Sasha atmete unbewusst tief ein. Ihr Blick verlor sich allmählich im Inneren ihres Bechers. Der dort gefangene Wein wurde als hinterlistiger Vorwand genommen um den neben ihr sitzenden Mann aus den Augenwinkeln heraus ansehen zu können. Sie genoss den vertrauten Klang seiner Stimme so nah an ihr. Es erinnerte sie an letzte Nacht.


    „Ich denke wir belassen es hierbei. Ihr fühlt euch von meinen Worten unnötigerweise angegriffen. Und das nicht erst seit heute sondern ständig. Wir sind wohl nicht mehr fähig miteinander zu sprechen.“ Ihre Hände platzierte die Priesterin auf dem Tisch, sie drückte sich empor und erhob sich ohne ein weiteres Wort „Das ist Unsinn.“ ertönt es links neben Sasha und mit einem Schlag loderte erneut Feuer in dem Blick der Set-Priesterin auf „Das ist kein Unsinn sondern die Wahrheit und das wisst ihr.“ Die anfänglich winzige Meinungsverschiedenheit artete aus und erreichte unerwartete Dimensionen. Es wurde still am Tisch als die Priesterin kompromisslos die Taverne verließ und ihr Platz leer zurück blieb. Ein beklemmendes Gefühl breitete sich danach in Sasha aus. Es war nicht das Gefühl von Reue über ihre brutalen Gedanken, welche sich zu Beginn bei ihr eingeschlichen hatten als die Blume versuchte sie mit Worten aus der Reserve zu locken. Es hatte einen anderen Ursprung und wuchs aus einer herzlosen Knospe.


    Sie verspürte eine unerwartete Freude in sich. Es fiel ihr schwer ihre Mimik unter Kontrolle zu halten. Sie ergötzte sich an dem Leid der Priesterin und zum ersten Mal an diesem Abend fühlte sich Sasha unwohl in ihrem Körper. Sie dachte wirklich sie hätte das alles hinter sich gelassen, die Ketten der Rachsucht gesprengt und wäre nun fähig ein ruhiges Leben zu führen. Ohne all diese negativen Empfindungen die es schafften ihren klugen Verstand zu vernebeln. Doch sie war schwach, zu schwach um ihren inneren Dämonen fester hinter Schloss und Riegel zu halten. Er wollte in die Welt los gelassen werden, wollte Chaos und Zerstörung anrichten. Sie schüttelt sich in der Hoffnung ihren Kopf somit frei zu bekommen. Es gelang ihr und als ihr hellblauer Blick über den Tisch wanderte um Thanathan anzusehen, war ihr nichts mehr von der kürzlich entstanden Katastrophe in ihrem Kopf anzumerken.


    „Danke das ich mich dazu gesellen durfte. Eigentlich wollte ich nur eine kurze Rast einlegen eher es mich zurück ins Lazarett zieht. Wie ihr wisst gibt es einiges vorzubereiten.“ Sie widmete dem Mann ein ehrliches Lächeln. Sie lernte ihn zu respektieren und innerlich, ganz tief in ihrem Herzen wusste sie, dass er es wert war beachtet zu werden. Ihm gegenüber heuchelte sie keine falschen Gefühle. Sie erkannte seinen Nutzen ebenso wie er ihren Nutzen für ein größere Ziel verstand. Und noch während sie Thanathan anblickte, registrierte sie neben sich eine unerwartete Bewegung. Sie waren nicht alleine aber doch hatte es Sasha geschafft die Anwesenheit des zweiten Mannes komplett aus ihrer Welt zu verbannen. Seit dem fluchtartigen Aufbruch der Priesterin hatte er kein einziges Wort verloren. Seine Mimik wirkte verbissen und offensichtlich gingen ihre Worte nicht spurlos an ihm vorbei. Es wäre so einfach gewesen eine Hand nach ihm auszustrecken und ihm somit wissen zu lassen dass sie ihn verstand. Sie saßen immerhin keine Armlänge weit voneinander entfernt. Aber doch rührte sie sich nicht, wagte es nicht einmal auch nur einen Finger in die Höhe zu strecken und in seine Richtung zu halten.


    Sie ließ ihn tatenlos neben sich in seiner Wut ertrinken und fühlte sich miserabel schuldig.

  • „Ich bin doch nur ein einfacher Mann.“

    „Du bist kein einfacher Mann. Einfache Männer überleben dieses Gefängnis nicht.“


    Sasha wusste nicht wie lange sie bereits vor der Tür stand. Sie wirkte auf einmal so massiv auf sie als wäre es ein unüberbrückbares Hindernis welches sich ihr hier in den Weg stellte. Dabei wäre es so einfach dieses Hindernis hinter sich zu lassen, sie musste nur ihre Hand ausstrecken und die Türklinke betätigen, dann würde sich die Holztür gezwungen fühlen sich für sie zu öffnen. Doch nichts der Gleichen geschah. Im Grunde genommen geschah gar nichts. Sie stand einfach dort, atmete regelmäßig und starrte das Holz an als wäre sie plötzlich im Stand hindurch zu blicken. Natürlich konnte sie das nicht, sie wusste auch nicht was sich hinter der Tür vor ihren Augen versteckte. Auf einen Schlag verlor ihr von Müdigkeit trüber Blick seinen Schleier und musste einem wachen Augenpaar weichen. Der Gedanke an ihn bestärkte sie, flößte ihrem Fleisch neues Leben ein und je länger sie an ihn dachte umso sanfter lächelte sie dem Hindernis entgegen.


    Die Karawane bis zum Mitraberg hatte ihren Tribut gefordert, nicht nur an ihr, auch viele andere Mitreisende versuchten sich von den Strapazen der letzten Tage zu erholen. Sie war eine der wenigen Glücklichen welche ohne Verletzungen davon gekommen ist, kaum zu glauben wenn man bedachte was alles auf den Weg in den Norden passierte. Unzählige Überfälle, massive Explosionen gefolgt von gewaltigen Felsabstürze und das Schlimmste von allen war die direkte Begegnung mit dem blutrünstigen Magier Tulak Rar.


    „Tulak Rar.“ flüsterte sie seinen Namen mit gewaltigem Hass in ihrer sonst so gefühlvollen Stimme. Sie würde vieles dafür geben diesen Mann leiden zu sehen solange bis er Blut spuckte und seine Organe begannen zu versagen. Er nahm sich heraus mit den Gefangenen zu spielen als wären sie sein Eigentum. Als wären wir alle nur leblose Puppen, ohne Geist und ohne Kraft, ohne Stolz und ohne Ziele. Doch davon waren wir alle weit entfernt. Wir besitzen einen wachen Geist, wir können massive Kräfte unser Eigen nennen und der Stolz lag bei einigen nicht allzu weit entfernt. Aber unsere Ziele? Unsere Ziele unterschieden sich voneinander. Etliche Gruppen hatten sich gebildet seit dem Tag als Sasha in der Wüste erwachte. Es gab zwar Handel zwischen uns, vielleicht auch das ein oder andere diplomatische Gespräch, aber niemand würde einem anderen Klan blauäugig den Rücken kehren ohne mit einem hinterlistigen Angriff zu rechnen. Das war unsere Natur.


    Vernunft


    Mit Vorsicht wurde die Türklinke betätigt. Sasha versuchte so leise wie möglich zu sein, ging sie doch davon aus dass der Hausbesitzer längst schlief. Nachdem sie im Inneren angekommen war schloss sie die Tür hinter sich, drehte den Schlüssel im Schloss und entfernte sich flott von der von ihr verschlossenen Tür. Einige Schritte erfolgten in den Raum bis hinüber zu einer längst erloschenen Feuerstelle. Dort begann sie ihr Schuhwerk aufzuknüpfen. Zunächst widmete sie sich der aufwendigen Verschnürung. Wortlos fluchte sie dabei als ein hinterlistiger Knoten im Zwirn sie daran hinderte ihren Plan in die Tat umzusetzen. Stur und kompromisslos zerrte sie an diesem eher sich Erfolg einstellte und der Knoten sich löste. Danach schob sie das Schuhwerk ungeliebt zur Seite. Ihre nackten Fußsohlen berührten das kühle Gestein unter ihr und sie konnte nicht anders als wohlig warm zu seufzen. Die brennende Hitze der Sonne war längst vergangen, der Tag neigte sich seinem Ende zu und hier konnte sie mit gutem Gewissen ihren Schutz fallen lassen und sich entspannen. Ihr hellblauer Blick streifte durch den Raum. Sie entdeckte auf einem runden Tisch allerlei Dinge. Einen Krug und eine Flasche mit dunkler Flüssigkeit vermutlich handelte es sich dabei um Wein. Sasha erinnerte sich an etwas zurück. Sie hörte ihre eigene Stimme aufdringlich in ihrer Erinnerung sprechen „Werdet ihr es mir eines Tages beibringen? Die Kunst die ihr hier erschafft? Wie aus Trauben Wein werden kann. Oh ich würde es so gerne lernen! Bringt ihr es mir bei?“


    Ihr Blick wanderte von dem Tisch hinüber zum Bett als sie dort ein Rascheln vernahm. In diesem Moment griff die Vergangenheit in die Gegenwart und Sasha konnte die letzten Augenblicke auskosten in denen er sie noch nicht bemerkte. Sie musterte seinen Körper und stellte eine deutliche Unruhe fest. Er rollte sich von einer Bettseite zur anderen in der Hoffnung dadurch etwas Ruhe in seiner Gedankenwelt zu schaffen. Sie konnte ihn verstehen, sie bildete sich sogar ein zu wissen was ihm den Schlaf raubte. Gerade als sie ansetzen wollte um zu sprechen rückte sein Oberkörper in die Höhe und ein ihr vertrautes Augenpaar blickte ihr direkt entgegen „Du bist da.“ Seine Feststellung zauberte ihr einen sanften Ausdruck auf die von der Wüstenluft getrockneten Lippen. Sie konnte gar nicht anders als zu lächeln, es war immer dasselbe Spiel sobald sie in seiner Nähe war „Natürlich bin ich hier. Es fällt mir schwer mich von meinem Zuhause fernzuhalten.“ gestand sie ihm ein. Sasha kam dem Bett näher und setzte sich auf eine freie Fläche. Dabei behielt sie ihre Beine über den Bettrand und ihre Füße berührten nach wie vor den kühlen Boden.


    Sie blinzelte auf als sie seinen nachdenklichen Gesichtsausdruck bemerkte „Ist etwas?“ erkundigte sie sich mit deutlicher Sorge in der Stimme „Ich weiß es nicht.“ antwortete er ihr knapp „Ich weiß im Moment gar nichts. Diese Begegnung mit Tulak Rar…“ Er sprach kaum laut so dass Sasha sich ihm entgegen neigen musste um ihn klar und deutlich zu verstehen. Sie fühlte seine Sorge und teilte diese tief in ihrem Herzen „…ich weiß nicht was mit meinem Schwert passierte. Warum es auf einmal blau zu leuchten begann…es fühlte sich an als hätte Mitra es in seinen Händen gehalten und nicht ich.“ Die Ehrlichkeit in seinen Worten erschlug sie und brachte es zustande das Sasha den ersten Moment nicht wusste was sie ihm antworten sollte. Sie verweilte somit schweigend und suchte lieber nach seiner Hand „Vielleicht bist du Mitra ja doch nicht so egal wie du dachtest?“ die Worte sprach sie mit Bedacht und Vorsicht aus. Sie wagte es nicht zu weit zu gehen. Es lag nicht in ihrem Interesse ihn zu reizen oder gar seinen Unmut auf sie zu lenken „Aber warum jetzt?“ fragte er sie mit gemischten Gefühlen. Deutlich konnte sie sehen wie sich Trauer mit Erkenntnis trafen, wie sich Wut in Müdigkeit wandelte als es ihm aussichtslos erschien noch weiter darüber nachzudenken „Vielleicht bist du ja doch nicht nur ein einfacher Gefangener.“


    Verantwortung


    Unangekündigt wurde er ganz still und Sasha bemühte sich ihn abzulenken um ihn nicht allzu weit in seine Gedankenwelt abdriften zu lassen. Sie wollte ihn nicht ziehen lassen, nicht an einen Ort an dem sie ihm nicht folgen konnte. Die zuvor ergriffene Hand wird gehoben und zu ihrer linken Wange geführt. Dort schmiegte sie sich an seiner Handfläche an und hauchte dieser einen flinken und federleichten Kuss auf. Sie wusste ganz genau wie er auf diese Art der Liebkosung reagierte und als sie einen prüfenden Blick in seine Richtung machte wurde sie nicht enttäuscht. Das Gefühlschaos auf seiner Mimik war hinfort und musste einer ausgeglichenen Erscheinung weichen „Aber ich bin nicht Mitra. Was soll ich ihnen sagen? Soll ich sie etwa alle belügen?“ sein Einwand war keinesfalls mit der gleichen Verzweiflung in der Stimme gesprochen wie noch zu Beginn ihres Gesprächs. Was auch immer sie mit ihm tat, sie tat es richtig und ohne Zweifel schenkte er ihrer Meinung großen Wert „Natürlich nicht. Aber du kannst dich nicht einfach hinstellen und behaupten du wüsstest nicht was in der Schlucht passiert ist. Es war dein Schwert, deine Verantwortung und es ist deine Pflicht dir eine Lösung auszudenken.“ Nachdem sie gesprochen hatte wurde seiner Hand erneut ihre Aufmerksamkeit geschenkt. Sie verteilte lose Küsse auf der Haut, drehte sie bis ihre Lippen seinen Handrücken erreichten und dort setzte sie ihre Wanderschaft fort. So gleitet ihr Lippenpaar von seinem Daumen hinüber bis zum kleinen Finger eher der Weg zurück zum Zentrum des Handrückens geht. Dabei war sie sich seinem konstanten Blick und seiner Aufmerksamkeit durchaus bewusst.


    „Aber ist es das wert? Ich würde direkt in Tulak Rar’s Fokus geraten und du mit mir.“ er schüttelte beherzt sein Haupt „Das will ich nicht. Ich will dich nicht in ständiger Gefahr wissen…Wir….“ Noch bevor er weiter sprechen konnte hatte sie ihm ihren rechten Zeigefinger auf seine Lippen gelegt und es ihm somit unmöglich gemacht seinen Satz zu beenden. Sie ließ nicht zu das ihn die Furcht davor sie zu verlieren stoppte. Hier ging es nicht allein um sein Wohlbefinden sondern auch um ihres. Sie musste auch an sich denken und genau das tat sie. Sasha hatte ihm vor einiger Zeit ihre Hand gereicht, mit dem Wissen sich gebunden zu haben und diese Entscheidung hatte sie bis zum heutigen Tage kein einziges Mal bereut. Er war mehr als ein Gefährte für sie, er stellte auch ihre Sicherheit in diesem Gefängnis dar und sie weigerte sich ihn vor den Augen aller unwissend wirken zu lassen. „Hoffnung ist ein rares Gut. Den Menschen durstet es nach Hoffnung in einer Zeit wo alles aussichtslos scheint. Du darfst diese Macht nicht unterschätzen, sie nicht klein reden und dich somit nicht klein reden. Mitra schenkte dir Kraft um einer aussichtslosen Situation zu entfliehen. Wegen dir und der Gottheit wurde an diesem Tag niemand zu einer leblosen Marionette des Magiers…“ Sasha hob ihren Blick und sah ihm direkt in die Augen. Innerlich wiederholte sie den nächsten Satz noch bevor sie ihn aussprach, so als müsste sie erst selbst zurück zu ihrem Glauben finden.


    „Du musst nur daran glauben, dann werden auch sie dir in deinem Glauben folgen.“

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