„Ich bin doch nur ein einfacher Mann.“
„Du bist kein einfacher Mann. Einfache Männer überleben dieses Gefängnis nicht.“
Sasha wusste nicht wie lange sie bereits vor der Tür stand. Sie wirkte auf einmal so massiv auf sie als wäre es ein unüberbrückbares Hindernis welches sich ihr hier in den Weg stellte. Dabei wäre es so einfach dieses Hindernis hinter sich zu lassen, sie musste nur ihre Hand ausstrecken und die Türklinke betätigen, dann würde sich die Holztür gezwungen fühlen sich für sie zu öffnen. Doch nichts der Gleichen geschah. Im Grunde genommen geschah gar nichts. Sie stand einfach dort, atmete regelmäßig und starrte das Holz an als wäre sie plötzlich im Stand hindurch zu blicken. Natürlich konnte sie das nicht, sie wusste auch nicht was sich hinter der Tür vor ihren Augen versteckte. Auf einen Schlag verlor ihr von Müdigkeit trüber Blick seinen Schleier und musste einem wachen Augenpaar weichen. Der Gedanke an ihn bestärkte sie, flößte ihrem Fleisch neues Leben ein und je länger sie an ihn dachte umso sanfter lächelte sie dem Hindernis entgegen.
Die Karawane bis zum Mitraberg hatte ihren Tribut gefordert, nicht nur an ihr, auch viele andere Mitreisende versuchten sich von den Strapazen der letzten Tage zu erholen. Sie war eine der wenigen Glücklichen welche ohne Verletzungen davon gekommen ist, kaum zu glauben wenn man bedachte was alles auf den Weg in den Norden passierte. Unzählige Überfälle, massive Explosionen gefolgt von gewaltigen Felsabstürze und das Schlimmste von allen war die direkte Begegnung mit dem blutrünstigen Magier Tulak Rar.
„Tulak Rar.“ flüsterte sie seinen Namen mit gewaltigem Hass in ihrer sonst so gefühlvollen Stimme. Sie würde vieles dafür geben diesen Mann leiden zu sehen solange bis er Blut spuckte und seine Organe begannen zu versagen. Er nahm sich heraus mit den Gefangenen zu spielen als wären sie sein Eigentum. Als wären wir alle nur leblose Puppen, ohne Geist und ohne Kraft, ohne Stolz und ohne Ziele. Doch davon waren wir alle weit entfernt. Wir besitzen einen wachen Geist, wir können massive Kräfte unser Eigen nennen und der Stolz lag bei einigen nicht allzu weit entfernt. Aber unsere Ziele? Unsere Ziele unterschieden sich voneinander. Etliche Gruppen hatten sich gebildet seit dem Tag als Sasha in der Wüste erwachte. Es gab zwar Handel zwischen uns, vielleicht auch das ein oder andere diplomatische Gespräch, aber niemand würde einem anderen Klan blauäugig den Rücken kehren ohne mit einem hinterlistigen Angriff zu rechnen. Das war unsere Natur.
Vernunft
Mit Vorsicht wurde die Türklinke betätigt. Sasha versuchte so leise wie möglich zu sein, ging sie doch davon aus dass der Hausbesitzer längst schlief. Nachdem sie im Inneren angekommen war schloss sie die Tür hinter sich, drehte den Schlüssel im Schloss und entfernte sich flott von der von ihr verschlossenen Tür. Einige Schritte erfolgten in den Raum bis hinüber zu einer längst erloschenen Feuerstelle. Dort begann sie ihr Schuhwerk aufzuknüpfen. Zunächst widmete sie sich der aufwendigen Verschnürung. Wortlos fluchte sie dabei als ein hinterlistiger Knoten im Zwirn sie daran hinderte ihren Plan in die Tat umzusetzen. Stur und kompromisslos zerrte sie an diesem eher sich Erfolg einstellte und der Knoten sich löste. Danach schob sie das Schuhwerk ungeliebt zur Seite. Ihre nackten Fußsohlen berührten das kühle Gestein unter ihr und sie konnte nicht anders als wohlig warm zu seufzen. Die brennende Hitze der Sonne war längst vergangen, der Tag neigte sich seinem Ende zu und hier konnte sie mit gutem Gewissen ihren Schutz fallen lassen und sich entspannen. Ihr hellblauer Blick streifte durch den Raum. Sie entdeckte auf einem runden Tisch allerlei Dinge. Einen Krug und eine Flasche mit dunkler Flüssigkeit vermutlich handelte es sich dabei um Wein. Sasha erinnerte sich an etwas zurück. Sie hörte ihre eigene Stimme aufdringlich in ihrer Erinnerung sprechen „Werdet ihr es mir eines Tages beibringen? Die Kunst die ihr hier erschafft? Wie aus Trauben Wein werden kann. Oh ich würde es so gerne lernen! Bringt ihr es mir bei?“
Ihr Blick wanderte von dem Tisch hinüber zum Bett als sie dort ein Rascheln vernahm. In diesem Moment griff die Vergangenheit in die Gegenwart und Sasha konnte die letzten Augenblicke auskosten in denen er sie noch nicht bemerkte. Sie musterte seinen Körper und stellte eine deutliche Unruhe fest. Er rollte sich von einer Bettseite zur anderen in der Hoffnung dadurch etwas Ruhe in seiner Gedankenwelt zu schaffen. Sie konnte ihn verstehen, sie bildete sich sogar ein zu wissen was ihm den Schlaf raubte. Gerade als sie ansetzen wollte um zu sprechen rückte sein Oberkörper in die Höhe und ein ihr vertrautes Augenpaar blickte ihr direkt entgegen „Du bist da.“ Seine Feststellung zauberte ihr einen sanften Ausdruck auf die von der Wüstenluft getrockneten Lippen. Sie konnte gar nicht anders als zu lächeln, es war immer dasselbe Spiel sobald sie in seiner Nähe war „Natürlich bin ich hier. Es fällt mir schwer mich von meinem Zuhause fernzuhalten.“ gestand sie ihm ein. Sasha kam dem Bett näher und setzte sich auf eine freie Fläche. Dabei behielt sie ihre Beine über den Bettrand und ihre Füße berührten nach wie vor den kühlen Boden.
Sie blinzelte auf als sie seinen nachdenklichen Gesichtsausdruck bemerkte „Ist etwas?“ erkundigte sie sich mit deutlicher Sorge in der Stimme „Ich weiß es nicht.“ antwortete er ihr knapp „Ich weiß im Moment gar nichts. Diese Begegnung mit Tulak Rar…“ Er sprach kaum laut so dass Sasha sich ihm entgegen neigen musste um ihn klar und deutlich zu verstehen. Sie fühlte seine Sorge und teilte diese tief in ihrem Herzen „…ich weiß nicht was mit meinem Schwert passierte. Warum es auf einmal blau zu leuchten begann…es fühlte sich an als hätte Mitra es in seinen Händen gehalten und nicht ich.“ Die Ehrlichkeit in seinen Worten erschlug sie und brachte es zustande das Sasha den ersten Moment nicht wusste was sie ihm antworten sollte. Sie verweilte somit schweigend und suchte lieber nach seiner Hand „Vielleicht bist du Mitra ja doch nicht so egal wie du dachtest?“ die Worte sprach sie mit Bedacht und Vorsicht aus. Sie wagte es nicht zu weit zu gehen. Es lag nicht in ihrem Interesse ihn zu reizen oder gar seinen Unmut auf sie zu lenken „Aber warum jetzt?“ fragte er sie mit gemischten Gefühlen. Deutlich konnte sie sehen wie sich Trauer mit Erkenntnis trafen, wie sich Wut in Müdigkeit wandelte als es ihm aussichtslos erschien noch weiter darüber nachzudenken „Vielleicht bist du ja doch nicht nur ein einfacher Gefangener.“
Verantwortung
Unangekündigt wurde er ganz still und Sasha bemühte sich ihn abzulenken um ihn nicht allzu weit in seine Gedankenwelt abdriften zu lassen. Sie wollte ihn nicht ziehen lassen, nicht an einen Ort an dem sie ihm nicht folgen konnte. Die zuvor ergriffene Hand wird gehoben und zu ihrer linken Wange geführt. Dort schmiegte sie sich an seiner Handfläche an und hauchte dieser einen flinken und federleichten Kuss auf. Sie wusste ganz genau wie er auf diese Art der Liebkosung reagierte und als sie einen prüfenden Blick in seine Richtung machte wurde sie nicht enttäuscht. Das Gefühlschaos auf seiner Mimik war hinfort und musste einer ausgeglichenen Erscheinung weichen „Aber ich bin nicht Mitra. Was soll ich ihnen sagen? Soll ich sie etwa alle belügen?“ sein Einwand war keinesfalls mit der gleichen Verzweiflung in der Stimme gesprochen wie noch zu Beginn ihres Gesprächs. Was auch immer sie mit ihm tat, sie tat es richtig und ohne Zweifel schenkte er ihrer Meinung großen Wert „Natürlich nicht. Aber du kannst dich nicht einfach hinstellen und behaupten du wüsstest nicht was in der Schlucht passiert ist. Es war dein Schwert, deine Verantwortung und es ist deine Pflicht dir eine Lösung auszudenken.“ Nachdem sie gesprochen hatte wurde seiner Hand erneut ihre Aufmerksamkeit geschenkt. Sie verteilte lose Küsse auf der Haut, drehte sie bis ihre Lippen seinen Handrücken erreichten und dort setzte sie ihre Wanderschaft fort. So gleitet ihr Lippenpaar von seinem Daumen hinüber bis zum kleinen Finger eher der Weg zurück zum Zentrum des Handrückens geht. Dabei war sie sich seinem konstanten Blick und seiner Aufmerksamkeit durchaus bewusst.
„Aber ist es das wert? Ich würde direkt in Tulak Rar’s Fokus geraten und du mit mir.“ er schüttelte beherzt sein Haupt „Das will ich nicht. Ich will dich nicht in ständiger Gefahr wissen…Wir….“ Noch bevor er weiter sprechen konnte hatte sie ihm ihren rechten Zeigefinger auf seine Lippen gelegt und es ihm somit unmöglich gemacht seinen Satz zu beenden. Sie ließ nicht zu das ihn die Furcht davor sie zu verlieren stoppte. Hier ging es nicht allein um sein Wohlbefinden sondern auch um ihres. Sie musste auch an sich denken und genau das tat sie. Sasha hatte ihm vor einiger Zeit ihre Hand gereicht, mit dem Wissen sich gebunden zu haben und diese Entscheidung hatte sie bis zum heutigen Tage kein einziges Mal bereut. Er war mehr als ein Gefährte für sie, er stellte auch ihre Sicherheit in diesem Gefängnis dar und sie weigerte sich ihn vor den Augen aller unwissend wirken zu lassen. „Hoffnung ist ein rares Gut. Den Menschen durstet es nach Hoffnung in einer Zeit wo alles aussichtslos scheint. Du darfst diese Macht nicht unterschätzen, sie nicht klein reden und dich somit nicht klein reden. Mitra schenkte dir Kraft um einer aussichtslosen Situation zu entfliehen. Wegen dir und der Gottheit wurde an diesem Tag niemand zu einer leblosen Marionette des Magiers…“ Sasha hob ihren Blick und sah ihm direkt in die Augen. Innerlich wiederholte sie den nächsten Satz noch bevor sie ihn aussprach, so als müsste sie erst selbst zurück zu ihrem Glauben finden.
„Du musst nur daran glauben, dann werden auch sie dir in deinem Glauben folgen.“