10. Monat, Tag 07 im Jahre 18.n.A.
Die Nordländer verhören die Kultistin, die sie gefangen haben. Ich komme gerade rechtzeitig mit meinem Spion dazu. Sie ist hartnäckig, aber scheint unter dem Einfluss des Dämons zu stehen. Erst als die Schuppige irgendetwas anzustellen beginnt, beginnt die Kultistin zu reden. Sie spricht von Vorbereitungen, neuen Anhängern, Sklaven, Folter und einem khitaiischen Untoten ohne Augen. Warum redet sie von jetzt auf gleich? Was hat die Schuppige getan? Ich bin zu unkonzentriert nach all den Tagen, um es richtig zu spüren, richtig zu deuten... Sollte ich ihr je begegnen, sollte ich meinen Geist stärken.
10. Monat, Tag 08 im Jahre 18 n.A.
Die Nordländer sammlen sich, ihr Anführer, die Einbrecherin, die Schuppige, der Barbar, der Aesir mit seinen Gefolgsleuten, der Assassine, auf den sie unverhofft vor den Toren treffen und der eine Khitai-Zwilling, die seit kurzem bei den Nordländern wohnt. Sie machen sich auf in Richtung des Dschungels, um jenen Turm mit den Büchern zu plündern, den sie nicht wiederfinden. Meine Spione sind bei ihnen.
Statt auf den Turm stoßen sie auf die lemurische Ruine, die zuvor durch die diebischen Khitai geplündert wurde. Die Kerzen im Zimmer mit der Notiz, die noch immer dort liegt, sind herunter gebrannt. Die Kohlebecken brennen, das Portal zur Toten Stadt ist geschlossen, auch das andere. Sie entdecken bei ihren Erkundungen die Tür zum Aufgang hoch in das Untergeschoss, doch schaffen es selbst mit Waffengewalt nicht, sie aufzubrechen.
Schließlich klettert der Assassine geschickt die Mauern hoch, hangelt sich an Ranken und Efeu nach oben und bricht oben einige der Dachschindeln heraus, die die Ruine bedecken. Durch das Loch gelangt er hinein, gefolgt von der Schuppigen und der Einbrecherin. Die drei erkunden die obere Etage, entdecken den Raum mit der zerbröselten Statue, in der nur noch das Schwert, kleine Steine und Sand und Staub von ihr zeugt, die Schalen, die brennen. Die Feuerschalen um das Podest lassen sich nun händisch löschen und entflammen, sodass die Barriere sich wieder aufbaut, wächst oder schrumpft, unnötige Spielerei. Die Tür nach aussen lässt sich nicht öffnen - was fehlt, ist der Windstein, den sie nicht haben. Unverrichteter Dinge versuchen sie wieder hoch zur Öffnung des Daches zu klettern, aber die Schuppige scheitert daran. Mit vereinten Kräften, einem Gürtel von oben, Hochstemmen von unten und einem beherzten Sprung gelangt es ihr schließlich hoch, wobei sie oben ausrutscht, herunter gleitet und in den Matsch fällt, der sie über und über besudelt.
Sie marschieren durch den Dschungel, auf der Suche nach dem Schwarzen Turm, finden ihn nach gefühlten drei Dutzend Kreisgängen und die Tür, die ehemals eisern verschlossen war, lässt sich nun öffnen.
Sie gelangen ins Studierzimmer, nehmen einige der Bücher mit, die Schriftrollen, die sie später studieren wollen, und mustern die geisterhafte Erscheinung, die sich über dem Tisch beugt. Gab die Gestalt anfangs kein sichtbares Zeichen von sich, die Anwesenden bemerkt zu haben, bohrten sich seine Augen nun einzelnd in diejenigen, die vor ihm standen. Mit Namen sprach er sie an, warnte sie, dass sie hier nichts zu suchen hätten und kehrte dann in einen Zustand zurück, in dem er nichts anderes mehr wahrzunehmen schien. Die Khitai konnte ihn berühren und die Schuppige sprach ihn direkt an - doch die Gestalt begann dann sich in Nichts aufzulösen.
Der Raum mit dem Portal war leer, der Raum mit den Knochen löste nur kurzes Unbehagen aus. Oben im Raum mit den anderen geisterhaften Gestalten entdeckten sie die Notiz mit den Worten, das dreifach ineinander geschlungene Rätsel, dessen Lösung die Khitai kannte. Aber es war die andere Frau, die die Lösung nannte, den Zauber und das Portal aktivierte... Ohne sich dagegen wehren zu können wurden sie eingesaugt und landeten ... in den Ruinen, die sie zuvor verlassen hatten, nur dass sie nun allesamt im Obergeschoss waren. Die Tür bei der Treppe weigerte sich auch nach den vereinten Bemühungen aufzugehen und diejenigen der Gruppe, die sie aufzubrechen versuchten, holten sich nur blaue Flecke.
Mühsam gelang es der Gruppe, die Wände wieder herauf zu klettern, sie unterstützten sich, stiegen einander auf die Schultern und es dauert lange, ehe sie oben waren.
Danach schien die Gruppe genug zu haben und kehrte wieder in den Norden zurück, als Beute die Bücher und Rollen, ein paar blaue Flecke und viel Matsch an und in den Klamotten.
10. Monat, Tag 09 im Jahre 18 n.A.
So viel passiert im Exil, dass ich nicht alles erfassen kann. Ich fühle mich erschöpft, meine Spione überall zu entsenden, die Kräfte aufrecht zu erhalten, die dafür notwendig sind.
Dennoch bekomme ich mit, was im Tempel geplant wird. Die liderliche Priesterin will die Herrschaft zurück. Die andere hat alles vorbereitet, Weihrauch, Lotus und Kissen... Unmengen an Kissen. Es scheint genug Teilnehmer für das zweigeteilte Ritual zu geben, das die verdorbenen Schlangen Derketos symbolisiert. Das erste soll die ganze Nacht dauern. Während sie sich der Unzucht hingeben und ich dem nicht zusehen will, folge ich der Alkolythin in ihr Gemach, beobachte sie, wie sie sich den Lotus-Träumen hingibt. Sie träumt scheinbar unruhig... ich sehe sie oft schlafen und höre immer wieder etwas von Augen in Kuth, die sich öffnen sollen. Ich weiß damit nichts anzufangen. Ist es etwas Rituelles? Ein Gebet? Träumt sie davon? Es scheint mit der Pagode der Ewigen Lust zu tun zu haben, die sie einst besuchte, mit der lemurischen Hohepriesterin ihres Glaubens.
Ich sehe, wie sie sich hin- und herrollt. Nein, hier erfahre ich heute Nichts mehr, daher breche ich die Verbindung zu meinen kleinen Freunden ab und lege mich ebenfalls schlafen.
10. Monat, Tag 11 im Jahre 18 n.A.
Ich sehe, wie der Aesir und eine der Khitai-Zwillingen in den Tempel gehen. Die Priesterin führt sie in den Keller mit den vielen Schädeln und Knochen. Ich bekomme es gerade noch mit, ehe die Tür schließt und lasse meinen kleinen Freund schnell mit hinein huschen.
Das Licht ist dunkel hier unten. Man sieht hunderte von Schädeln und Knochen, die fein säuberlich aufgehängt sind und leise klappern, wie von unsichtbarer Hand angestoßen und bewegt. Es ist unheimlich hier. Die Priesterin holt ein Fell und die drei setzen sich inmitten der Knochen auf den Boden. Mein Spion krabbelt in den Schatten und im Dunkeln über die kalten, dunklen Steinfliesen, auf denen ich hier und da noch Überreste von getrocknetem Blut ausmache.
Die Priesterin wirkt ungewöhnlich ernst, sie spricht und redet, scheint die anderen über Risiken zu belehren, vielleicht gar zu warnen. Dann zieht die Khitai die Handschuhe aus. Ich sehe im fahlen Licht Hände, deren Haut verätzt oder verbrannt - oder vielleicht beides scheinen. Die Priesterin befühlt diese, tastet gar hoch zu den Armen und Ellenbogen, die nicht besser auszusehen scheinen. Die Khitai muss schreckliches mitgemacht haben. Die Priesterin erhebt sich hernach, holt einen ledernen Beißriemen, ein Messer und schneidet sich über die eigene Handinnenfläche. Blut fließt. Ich nehme den kupfrigen Geruch wahr. - Schließlich beginnt die Priesterin zu intonieren. Die Schatten scheinen sich um sie und ihre Hände zu sammeln, bilden ein Geflecht, was die andere und sie zu verbinden scheint. Es wirkt grässlich, fremdartig... Die andere beginnt Schmerzen zu erleiden. Die Athmosphäre wirkt geladen und auch der Aesir, der Begleiter der anderen, wirkt angespannt. Ich bin mir nicht sicher, ob er kurz davor ist, die Priesterin anzugreifen, weil sie - ausgerechnet jene, mit der er einst selber "verheiratet" war - seiner neuen Gefährtin wehtut - oder ob er Etwas bemerkt, das meiner Aufmerksamkeit entgeht.
Wie ich merke, scheint eher letzteres der Fall zu sein, Leute betreten den Keller. Es werden immer mehr, die näher kommen. Ihre Gesichter versteifen sich, werden von besorgt zu wütend, angsterfüllt und hassend zugleich, als sie die Verbindung der beiden Frauen sehen. Der Aesir springt auf, Wachen kommen - fast wirkt es, als würde es zu einem Kampf eskalieren, dann spricht die Priesterin, halb aus der Konzentration gerissen, spricht eine Warnung aus und ein Teil wendet sich ab und geht, während der andere Teil mit düsterer Faszination dem zusieht, was sie macht.
Auch ich wende mich dem Geschehen wieder zu und bin erstaunt. Etwas ändert sich... rötliche Funken glimmen auf, schweben um die Hände der beiden, vereinen sich und was auch immer die Priesterin in all der Zeit, in der die anderen wie auch ich zuschauen, macht... es ist ein Wunder. Die Narben glätten sich langsam, die Sehnen und Muskeln scheinen einwandfrei zu arbeiten und sich zu bewegen. Fast möchte man meinen, dass die Hände wie neu erscheinen, während da nicht die feinen Umrisse, anhand derer die Stellen, an denen die Narben saßen, noch erkannbar sind.
Die Priesterin selber beginnt immer mehr und mehr zu zittern. Ihre eigenen Hände wirken verkrampft und fast so, als würden ihre Sehnen nun das Schicksal erleiden, dass die Khitai vorher heimgesucht hatte.
Ich weiß nicht, wieviel Zeit vergangen ist, aber irgendwann sind sie fertig, freudig... sie reden mit jenen, die noch da sind, während die Priesterin einen Schwächeanfall erleidet. Ich höre immer lauter werdende Schritte. Jemand nähert sich. Ich will meinen Spion wegkrabbeln lassen, doch dann bricht die Verbindung ab.
Ich seufze schwer. Ich schätze, dass auch dieser kleine Freund das Ende seines irdischen Lebens gefunden hat.