Lange hatte er mit Shaya an diesem Abend geredet, in der Hoffnung Klarheit zu finden, zu ergründen was er fühlte.
Doch am Ende war er verwirrter als je zuvor.
Shaya lag ihm am Herzen, sehr. Auch während der Karawane hatte er mehrmals gewünscht zu ihr zu gehen und mit ihr zu reden.
Sie war seine Vertraute, die Dinge wusste von denen kein Mensch auch nur ahnte.
Auch hatten sie eine wundervolle Nacht geteilt, so selbstverständlich, natürlich war es geschehen.
Doch in seinen Gedanken war auch Cali immer zugegen, ihr Lachen, die Art wie sie scheinbar schmollte um dann doch wieder dieses
wilde Grinsen zu zeigen. Bei ihr fühlte er sich frei, frei wie nie zuvor.
Er war schon oft zwischen zwei Frauen gestanden, die Situation kannte er. Also tat er, was er immer tat wenn es brenzlig wurde:
Er machte sich aus dem Staub.
Doch diesmal nicht für immer. nur für eine Nacht, nur um Klarheit in seine Gedanken bringen zu können.
Hoch oben in den Bergen hatte er schon vor Wochen einen Flecken gefunden der ihn im innersten angesprochen hatte:
An einer Klippe krallte sich ein alter, verdorrter Baum mit aller Kraft seiner Wurzeln an den kargen Berg.
Unter ihm kam ein langes Nichts, dann der Fluß. Und um ihn herum nur der kühle Wind und die Ferne.
Bei Nacht lehnte Karduum an dem Baum, sah in die Sterne und ins Land. Sah Lagerfeuer und Behausungen und war
doch weit weg von allem.
Es schien als frage er den hölzernen Alten um Rat, als könne die Weisheit seines langen Lebens Karduums all zu kurzes
Dasein in die richtige Richtung lenken, seine Gedanken ordnen.
Heute Nacht jedoch waren es Erinnerungen welche ihm in den Sinn kamen, sich dort festsetzten und ihr klärendes Werk taten.
Ein Abend am Feuer, mit dem Schinder, der inzwischen ein Freund und zweiter Vater war.
"Tarik, ich kenne dich, seit du in die Windeln geschissen hast, und nun bist du ein Mann."
Der trotz seines Alters immernoch imposante Krieger lehnte sich an einen Felsen und sprach weiter:
"Mehr als das, du bist ein Krieger und für mich wie der Sohn, welcher mir nie vergönnt war.
Ich will dir heute mein Vermächtnis geben, denn ich spüre das mein Weg mich bald zu Crom führen wird."
Eine abwehrende Handbewegung ließ Tariks Einwand sofort verstummen.
"Halt dein vorlautes Maul und lass einen alten Mann reden, wenn er reden will!
Tarik, solange ich denken kann sehe ich das in dir Croms Stahl wirkt. Er fließt in dir wie glühendes Feuer,
er rüstet dich wie es kein Eisen je vermag. Du bist wahrlich ein Kind Croms!"
Der Schinder nahm einen tiefen Schluck Ale aus dem Krug und fuhr fort:
"Doch ich sehe auch, dass in dir das Herz deiner Mutter schlägt, du den feinen Künsten anhängst und dass du
ein mehr als geschickter Händler bist, der wohl Reichtum auch ohne das Schwert finden kann.
Beides ist untrennbar verbunden, doch es wird der Tag kommen, an dem du einer Seite die
Führung über dein Leben geben musst."
Tarik nickte zu den Worten des Kriegers nachdenklich und sprach:
"Ich gebe dir recht, mein Freund. Ich liebe wie das Schwert in meiner Hand liegt, ich liebe es sein Werk zu tun
und den Gegner zu töten. Doch ebenso liebe ich das prickelnde Gefühl wenn ein handel zustande kommt und ich weiß
meinem Gegenüber mehr abgenommen zu haben als er meint. Wie soll ich mich je entscheiden?"
Der Schinder lächelte nur, sah Tarik an und sprach ernst:
"Das Schicksal wird dir eine Prüfung auferlegen. In ihr wirst du deinen Weg erkennen.
Und dann gehe ihn unbeirrt, denn er wird dich zu deinem Glück führen."
Karduum erinnerte sich genau an dieses Gespräch. Er hatte damals nicht verstanden was der Schinder mit der Prüfung meinte,
bis er seine geliebte Schwester mit erhobener Waffe auf sich zukommen sah und sie schließlich tötete.
Beim Anblick seiner blutigen Hände erkannte er den Wink des Schicksals und schwor dem Krieger ab.
Doch hatte er den Fingerzeig des Schicksals richtig gedeutet?
All die Jahre war er davon überzeugt gewesen, doch nun, hier, dachte er dass es auch eine andere Erklärung gab:
Er hatte damals instinktiv wie ein Krieger gehandelt, Crom hatte seine Hand geführt und ihn das tun lassen, was notwendig war.
War dies nicht die Essenz des Krieger seins? Zu tun was nötig ist? Anderes Wohl über das eigene stellen?
Heute und hier wußte er, dass er immer ein Krieger sein würde, egal wohin der Weg des Lebens führen mochte.
Und seine andere Seite ergänzte ihn zu dem Mann der er war. Eine Erkenntnis, welche er allein Shaya verdankte.
Eine andere Erinnerung verschaffte sich Platz in Karduums Gedanken.
Er war damals 14 oder 15 und war mit seiner um zwei Jahre älteren Schwester Rajana am Fluß.
Sie badeten und alberten herum, neckten sich gegenseitig und genossen einen der seltenen freien Tage der ihnen heute
vergönnt war. Sie waren gerne beisammen, denn sie verstanden sich blind und hatten großes Zutrauen zu einander.
Tarik sah in ihr die Weisheit der Älteren, trotz des geringen Abstands an Jahren.
"Rajana...", sprach er sie an, "...kannst du mir sagen was Liebe ist?"
Die Angesprochene lachte glockenhell:
"Sag nur, mein Tarik ist verliebt. Ist es die kleine vom Saatguthändler?"
Tarik wurde rot, teils aus Scham, teils aus Ärger. Trotzdem nickte er.
"Ich hätte dich nicht fragen sollen. Weiber sind halt blöd." murrte er beleidigt.
"He, mein Herz. Ich hab es nicht so gemeint. Sie ist ein liebes Mädel, und ich kann verstehen, dass du sie sehr magst."
Rajana versuchte Tarik zu beruhigen.
" Ja, aber was fühle ich für sie? Ist das Liebe?"
Seine Schwester sah ihn lange an und sprach dann:
"Mein Tarik... es gibt drei Arten der Liebe. Da ist einmal die Liebe die Geschwister oder sehr gute Freunde füreinander empfinden.
Sie ist erfüllt von Vertrauen und Hingabe füreinander, doch verlangt sie keine Treue, man kann sie mehreren Menschen schenken.
Dann ist da das Verliebtsein. Auch da sind Vertrauen und Hingabe, jedoch kommen noch weitere Gefühle hinzu.
Da ist das kribbeln im Bauch wenn man den geliebten Menschen sieht, das Verlangen ganz nah bei einander zu sein, sich küssen
zu wollen und noch mehr."
Tarik lauschte aufmerksam.
"Und schließlich ist da die wahre Liebe, die man nicht für zwei Menschen gleichzeitig fühlen kann. Zu allem was man beim Verliebtsein spürt,
kommt noch das sichere Gefühl dass der andere einen zu dem macht wer man ist, dass er uns ergänzt und vervollständigt. Das Gefühl, dass
man diesen Menschen niemals verlieren will."
Rajana blickte zu ihrem nun sehr nachdenklich gewordenen Bruder, der schließlich zu ihr sah.
"Und wie nennt man es, wenn man sie einfach nur berühren will, ihren Busen streicheln und noch mehr?"
Wieder lachte Rajana schallend und stürzte sich lachend auf ihren grinsenden Bruder:
"Das nennt man *typisch Tarik*"
Karduum lächelte. Rajana war immer da gewesen um ihm zu helfen. Er liebte sie noch immer von Herzen.
Und noch aus dem Reich der Toten schickte sie ihm Rat und Weisheit.
Er sah sie lachen und strahlen, und ihm war als riefe sie ihm zu er solle auf sein Herz hören und endlich zu ihr gehen.
Noch vor dem Morgengrauen öffnete er die Tür und ging leise durch den Raum.
Am Bett angekommen, sah er die Schlafende lange an.
War es Liebe?
Er vertraute ihr. Mit seinem Leben wenn nötig.
Er gab sich ihr hin, würde sein Leben für das Ihre ohne zögern geben
Wenn er sie sah, spürte er ein kitzeln in der Brust, das ihn am liebsten laut loslachen ließe.
Und sie so da liegen zu sehen, weckte in ihm das unbändige Verlangen sich einfach dazu zu legen und sie in den Arm zu schließen.
Naja, wenn er ganz ehrlich war, erstreckte sich das Verlangen vielleicht auf mehr als das.
Sie würde an seiner Seite sein, im Kampf und im Lachen.
War das möglich? Liebte er sie?
Karduum lächelte voll innerem Frieden. Was er wußte genügte ihm, alles andere würde die Zeit klären.
Ein letzter Blick auf sie, bevor er hinaus auf den Balkon zum schlafen ging, denn das Bett, welches auf einmal hier stand, war ihm noch nicht offiziell gestattet.
Seine letzten Gedanken vor dem Einschlafen galten ihr.