Da gingen sie hinfort - der Stumme und sein barbusiges Weib. Entschlossen, zornig, ohne Verstand - so hatte Gretha zumindest ihn erlebt. Sie blieb blass, wie die von der Sonne gezeichnete Haut seiner Begleiterin. Nach drinnen in das Langhaus war sie gegangen, denn die Situation erschien ihr unerträglich, was eine neue Erfahrung für sie bot. Zwar war sie nicht als schweigsam oder still bekannt, dennoch flossen selten so viele Worte aus ihrem Mund. Was wollte sie eigentlich erreichen damit? In diesem verfluchten Land? Innerhalb dieser grünen Mauern?
Wie ein Sturm eroberte ihr Wolf sie, der Sturm riss sie mit und brachte sie genau an diesen Ort. Es kommt ihr heute noch immer wie in einem Traum vor, als würde ihr jemand diese Fantasie einreden. Dann aber kamen solche Gäste in das Dorf und die Fantastereien wurden spürbar zu harter Realität. Sie war nicht nur das Weib von irgendwem, sie war die Frau des Häuptlings und das veränderte sie komplett und von Grund auf.
Früher klärte sie Dinge mit ihrem Labrys, nur um danach die Fragen zu stellen. Heute agierte sie anders herum, versuchte durch Gespräche die Dorfbewohner kennen zu lernen, eine Gemeinschaft wachsen zu lassen und es funktionierte. Sei es Aenna, die sich voller Inbrunst der Verpflegung widmete oder Arnulf, der Gerber, welcher alle gebrachten Felle und Knochen verwertete, als wäre es nichts.
Das Fest zur Sonnenwende hatten sie besucht und Gretha wollte es nutzen um Celaine zu treffen, überraschenderweise war jene auch da. Es kam zu einem Wortwechsel, wobei weniger geredet wurde und mehr ein Symbol getauscht war. Ein Friedensangebot seitens der Frau des Häuptlings, auf welche oft so viel Gram und Eifersucht ruhte. Es war irrational, alles was Celaine tat und ihr gegenüber sagte stand im Kontrast dazu, aber sie war willens ihr eine Gemeinschaft, eine Familie anzubieten. Gretha war auch lange ein verlorenes Kind ihres Volkes, welches irrwitzigerweise innerhalb dieser Mauern heim gefunden hatte.
Aedan war ein weiser Mann und er beeinflusste alle Menschen im Dorf. Sei es der Häuptling, der den Worten des Schamanen vertraute, Korgoth der sich sogar zu etwas Friedlichem maßregeln ließ oder Gretha selbst, die seine Worte aufsog wie ein Schwamm. Auch wenn es nicht sofort so erschien als hätte sie verstanden was er meinte, arbeiteten seine Ansichten in ihr weiter und so prägte er nahezu heimlich und mit Hilfe der Geisterwelt das cimmerische Leben innerhalb des Dorfes. Er war zur Seele geworden. Und er litt, was jeder sah und spürte und bemüht war ihm zu helfen. Mit Tee, Wasser und gutem Essen wurde er versorgt und dennoch zog das Übel ihn herunter.
“Zorn ist nie ein guter Ratgeber, junge Wölfin.”
Das waren Worte, welche er an sie richtete und er befriedete auch ihre Seele damit. Es war auch seiner Anwesenheit geschuldet dass sie sich erhob und zu Dschamal ging, das Wort an ihn richtete und dennoch versagte. Er wollte nicht verstehen was sie meinte, zu sehr war er in seinem Zorn gefangen. Aber wenn sie eines wusste: Gewalt würde immer zu mehr Gewalt führen und bald für die Auslöschung von mehr als zwei Leben verantwortlich sein. Karduum möge es nicht mehr schaffen, aber musste Dschamal sein Dorf, sein Weib, das was er als Gemeinschaft betrachtete und sich dafür verantwortlich zeichnete, auch so in Gefahr bringen?
Es ging ihr nicht einmal um Celaine dabei. Dieser Hitzkopf ging immer seine eigenen Wege und den eigenen Ideen nach. Wo sie früher blind im Namen der Verbannten tötete, achtete sie das Leben mehr denn je. Gretha hatte Angst das sie keinen Weg hier heraus finden würden und dass sie hier weiter existieren mussten. Sie kannte die Stärken ihres Mannes, aber auch seine Schwächen, es beruhigte sie auf einer Seite zutiefst, auf der anderen irritierte und ängstigte es sie aber auch. Würde er die Schatten sein lassen, um für die Gemeinschaft zu entscheiden?
“Möge die Vernunft siegen. Denn wir sind hier alle eingesperrt, sitzen im selben Boot. Und was tun wir? Wir schlachten einander ab, weil unser Stolz, unsere Ehre oder ein zahnloser Wolf mit Worten jonglierte, um das Beste für sich herauszuholen.”
Der Sand rieselte aus ihrer Hand, sie stand auf einem der Türme und sah in Richtung Fluss.
Die Eisenwölfe würden neutral bleiben, das taten sie immer.